Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
Langsam,
langsam, Jacques! Nehmen Sie bitte Platz. Bevor wir gleich wieder über die dröge
Arbeit reden, muss ich Ihnen unbedingt einen Abschnitt aus meinem Manuskript vorlesen
und Ihre Meinung …
Klient: STOPP! Haben
Sie mich deswegen angerufen? Ich bin nicht hier, um mit Ihnen über Ihr Manuskript
zu reden. Ich bin nicht Ihr Lektor. Ich wollte einfach nur …
Detektiv: Bitte,
Jacques! Gönnen Sie mir das Vergnügen. Ich lege viel Wert auf Ihr Urteil.
Klient: Diese
Dienstleistung ziehe ich Ihnen vom Honorar ab. Also schön, legen Sie los. Aber machen
Sie es kurz.
Detektiv: Prima,
danke!
Die Landgraf Georg,
eine zwanzig Fuß lange, morsche Schaluppe aus der kleinen Flotte des letzten Woogfischers,
schaukelte sanft in der leichten Dünung. Sie waren vom Westufer des Großen Woog
ein halbe Stunde lang mit rund acht Knoten Richtung Osten gefahren und hatten jetzt
ungefähr die Stelle erreicht, an der der Killerkarpfen zum letzten Mal zugeschlagen
hatte. (…)
Klient: Wenn
ich Sie kurz unterbrechen darf, Karl: Dieser Große Woog, der hat doch höchstens
einen Durchmesser von 200 Meter oder so, stimmt’s?
Detektiv: Na
und?
Klient: Wenn
man da vom Westufer losfährt und eine halbe Stunde Richtung Osten fährt, ist man
dann nicht längst in Roßdorf oder Dieburg?
Detektiv: Sie
können ja ein richtig kleinkarierter Korinthenkacker sein, Jacques. Noch nie was
von Fiktionalisierung und Dramatisierung gehört? Außerdem: Wie viele der Millionen
Leser, die ich weltweit erreichen werde, kennen diesen Tümpel aus eigener Anschauung?
Klient: Geschenkt.
Lesen Sie weiter.
Detektiv: Vince Stark
spießte den Köder auf den Haken, holte weit aus und warf die Leine Richtung Backbord
aus. Er riskierte einen Blick zum Steuerstand. Olivia Spirelli winkte ihm zu und
wartete auf weitere Anweisungen. Sie sah unglaublich sexy aus mit dem türkisfarbenen
Bikini auf ihrer braun gebrannten Haut. Er würde sie in die Bockshaut zum Essen
einladen, wenn alles vorbei war. Wenn sie die Killerbestie erledigt hatten und dieser
Earl Grey hinter Schloss und Riegel saß. In diesem Moment brach der mächtige Kopf
der Killerbestie durch die Wasseroberfläche …
Klient: › You’re gonna
need a bigger boat.‹
Detektiv: Wie
bitte? Ich verstehe nicht, Jacques. Warum unterbrechen Sie mich schon wieder?
Klient: Vince
Stark sollte an dieser Stelle den Satz ›Wir brauchen ein größeres Boot‹ sagen. Erinnern
Sie sich nicht an die Szene im Weißen Hai, als Chief Brody zum ersten Mal das riesige
Vieh sieht?
Detektiv: Ich
muss schon sagen, Sie sind immer für eine Überraschung gut. Ich dachte, Psychologen
würden sich nur ARTE-Themenabende anschauen, Deutschlandfunk hören und Cicero lesen.
Klient: Ich bin Psycho analytiker .
Und das mit dem Kulturprogramm erzählen wir gerne den Leuten. Hinter den Gardinen
geben wir uns mit knallharten Actionstreifen hemmungslos unseren Omnipotenzfantasien
hin. Los, lesen Sie weiter.
Detektiv: Na
ja, offen gesagt ist das Kapitel hier zu Ende. Ein klassischer Cliffhanger.
Klient: Das
kann nicht Ihr Ernst sein. Sie rufen mich an, sagen mir, ich müsste unbedingt kommen,
um mir diese paar Zeilen vorzulesen?
Detektiv: Ich
gebe zu, ich wollte Sie einfach wiedersehen! Ich habe Schmerzen, wenn ich mich bewege.
Und wenn ich hier herumsitze, fällt mir die Decke auf den Kopf. Mir war langweilig,
und ich finde die Treffen mit Ihnen recht unterhaltsam. Ich dachte, Ihnen geht es
vielleicht genauso.
Klient: Ich
sehe schon, wir stehen am Anfang einer großen Romanze. Gleichwohl bin ich überzeugt
davon, dass Sie mich nur sehen wollen, weil ich die letzte direkte Verbindung zu
Ihrer Exfrau darstelle! Jetzt schenken Sie mir schon einen ein, wo ich schon mal
hier bin. Ich habe mir übrigens auch eine Geschichte ausgedacht.
Detektiv: Ach!?
Lassen Sie hören!
Klient: Erinnern
Sie sich an Ihre spekulative Posse über diesen jüdischen Psychoanalytiker aus München?
Dessen Tochter unfreiwillig mit ihrem Herz einem Antisemiten das Leben rettet? Ihnen
fehlte noch ein wichtiger Baustein der Geschichte. Eine plausible Erklärung dafür,
wie der Vater der Spenderin die Identität des Empfängers erfuhr.
Detektiv: Richtig.
Und? Haben Sie eine Idee?
Klient: Was
wäre, wenn er an den Namen dieses Mannes gekommen wäre wie die Jungfrau zum Kind?
Wenn er nie nach ihm gesucht oder gefragt hätte, und ihn trotzdem einfach so per
Post erhalten
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