Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
unlösbare politische Krise werden, wie Massimo de Angelis dargelegt hat.
Damit lassen sich wiederum die seltsamen ideologischen Verrenkungen erklären, mit deren Hilfe man uns ständig einreden will, dass »der Kommunismus einfach nicht funktioniert«. Ich habe erlebt, wie Mütter dies ihren zwölfjährigen Töchtern gegenüber behaupteten, als diese vorschlugen, man könne ja gewisse Aufgaben eventuell gemeinsam erledigen. (Als ob das Problem in der Sowjetunion gewesen wäre, dass es keinen gegeben hätte, der Befehle erteilt!) Im Grunde ist es regelrecht bizarr, wie schnell sich die Sprachregelung verändert hat: Zuerst wurde behauptet, ein System wie die Sowjetunion, ohne einen Binnenmarkt etc., könne unmöglich mit den reichsten und fortschrittlichsten kapitalistischen Konkurrenten mithalten, weder technologisch gesehen noch was die Versorgung mit Konsumgütern angeht. Dann hieß es plötzlich, dass eine solche Gesellschaft überhaupt nicht existieren könne. Doch es gab sie wirklich, wie ich meine Leser erinnern darf. Fast 70 Jahre lang. Sie war eine Weltmacht, hatte Hitler besiegt
und Kosmonauten ins Weltall geschossen. Ich sollte an dieser Stelle betonen, dass niemand, der noch ganz bei Trost ist, sich je ein solches System zurückwünschen würde. Die ideologische Behauptung jedoch, ein solches System sei im Prinzip unmöglich, dient in Wirklichkeit einem einzigen Zweck: Sie soll uns davon überzeugen, dass der echte Kommunismus, der reale Alltagskommunismus, wie er in der Sowjetunion und ihren verbündeten Ländern tatsächlich nie verwirklicht wurde, auf keinen Fall irgendeine größere gesellschaftliche Relevanz haben kann. Denn sobald wir hinterfragen, wie unser Leben wirklich funktioniert, sind wir vermutlich nicht mehr ganz so erpicht darauf, weiterhin Befehle zu befolgen und brav unseren eigenen Unterdrückungsapparat wiederaufzubauen, wenn dieser wieder einmal auseinanderbricht.
Also: Niemand, der noch ganz bei Trost ist, würde je davon träumen, ein System wie die ehemalige Sowjetunion wiederaufzubauen. Zudem hat die überwiegende Mehrheit derjenigen, die das System umstürzen wollen, inzwischen aus eigener bitterer Erfahrung gelernt, dass man Staaten gleich welcher Art nicht trauen darf. In manchen Teilen der Welt haben Regierungen und ihre Vertreter größtenteils ihre Zelte abgebrochen und sich davongemacht: So gibt es in Afrika und Südostasien, vermutlich auch in Teilen Nord-, Mittel- und Südamerikas ganze Landstriche, in denen der Staat und das Kapital nur minimal vertreten sind oder überhaupt nicht existieren. Doch da die Menschen sich dort offenbar nicht gegenseitig umbringen, ist dies kaum jemandem aufgefallen. An manchen Orten sind spontan neue gesellschaftliche Strukturen entstanden, von denen wir unmöglich wissen können. In anderen Gegenden sind in den vergangenen zehn Jahren Tausende
verschiedener Vereinigungen für gegenseitige Hilfe gegründet worden, die dem Staat und dem Kapital offen trotzen und von denen die meisten noch nicht einmal auf der medialen Bildfläche aufgetaucht sind. Darunter fallen winzige Kooperativen und Genossenschaften, aber auch ausgedehnte antikapitalistische Experimente, vereinzelte besetzte Fabriken in Paraguay oder Argentinien oder selbstorganisierte Teeplantagen und Fischereien in Indien, autonome Institute in Korea, ganze aufständische Gemeinden in Chiapas oder Bolivien, Zusammenschlüsse landloser Bauern, Hausbesetzer in den Städten sowie Nachbarschaftsvereinigungen, die überall dort aus dem Boden schießen, wo die Staatsmacht und das globale Kapital für kurze Zeit nicht hinschauen. Diese Experimente haben praktisch keinerlei ideologische Geschlossenheit und wissen größtenteils noch nicht einmal voneinander. Sie sind jedoch alle geprägt von dem gemeinsamen Wunsch, die Logik des Kapitals zu durchbrechen. Und an zahlreichen Orten beginnen sie bereits, sich zusammenzuschließen. So genannte »Solidarökonomien« existieren auf jedem Kontinent, in mindestens achtzig verschiedenen Ländern. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns allmählich ernsthaft vorstellen können, wie diese auf weltweiter Ebene zusammenwachsen und neue Formen planetarer Allmenden hervorbringen könnten, wodurch letztlich die Entstehung einer wirklich aufständischen Zivilisation ermöglicht wird.
Das Gefühl der Zwangsläufigkeit, die Überzeugung, dass das System unbedingt in der gleichen Form wieder zusammengeschustert werden muss, wird dadurch
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