Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
erschüttert, dass es sichtbare Alternativen gibt. Aus diesem Grund ist es für die Weltordnung eine solche Notwendigkeit geworden, diese Alternativen auszumerzen oder, falls das nicht möglich ist, zumindest dafür zu sorgen, dass niemand davon erfährt. Denn
wenn dies geschieht, wären wir in der Lage, alles, was wir heute bereits tun, in einem völlig neuen Licht zu sehen. Wir würden erkennen, dass wir alle bereits Kommunisten sind, wenn wir an gemeinsamen Projekten arbeiten, dass wir Anarchisten sind, wenn wir Probleme ohne Anwälte oder die Polizei lösen, und Revolutionäre, wenn wir etwas wahrhaft Neues erschaffen.
Man könnte nun einwenden, dass eine Revolution sich nicht allein darauf beschränken kann. Das ist wahr. In dieser Hinsicht haben die großen strategischen Debatten gerade erst begonnen. Doch ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf Folgendes hinweisen: Seit mindestens fünftausend Jahren war das zentrale Anliegen von Volksbewegungen in der Regel ein Streit um Schulden – dies galt bereits lange bevor der Kapitalismus überhaupt existierte. Der Grund dafür ist folgender: Schulden sind das wirkungsvollste Instrument, das je geschaffen wurde, um diejenigen menschlichen Beziehungen, die im Grunde auf Gewalt und brutaler Ungleichheit beruhen, in den Augen aller Betroffenen moralisch und richtig erscheinen zu lassen. Wenn dieser Trick allerdings irgendwann einmal nicht mehr funktioniert, fliegt alles in die Luft. Genau dies geschieht aktuell. Schulden sind erwiesenermaßen die größte Schwachstelle innerhalb des Systems; der Punkt, an dem alles in dramatischer Weise außer Kontrolle gerät. Außerdem bieten sie unzählige Möglichkeiten, sich zu organisieren. Manche sprechen davon, dass es einen Schuldnerstreik oder ein Schuldnerkartell geben muss. Vielleicht, doch das Mindeste, was wir tun können, ist, dass wir uns gemeinsam zunächst gegen Zwangsräumungen aussprechen: Jede Nachbarschaft sollte geloben, dass wir uns gegenseitig unterstützen, falls einer von uns aus
seinem Zuhause vertrieben werden soll. Dies ist zum einen wirkungsvoll, da man, indem man Schuldensysteme herausfordert, gleichzeitig die Essenz des Kapitalismus – sein moralisches Fundament – in Frage stellt, das sich inzwischen als bloße Ansammlung nicht gehaltener Versprechen herausgestellt hat. Zum anderen schafft man dadurch zugleich ein neues Fundament. Eine Schuld ist nämlich letztlich nicht mehr und nicht weniger als ein Versprechen. Und in der heutigen Welt wimmelt es nur so von Versprechen, die nicht gehalten wurden. So könnte man hier das Versprechen anführen, das uns der Staat gegeben hat: Wenn wir auf jegliches Recht, unsere eigenen Angelegenheiten kollektiv zu regeln, verzichten, kämen wir zumindest in den Genuss einer Grundabsicherung. Oder das Versprechen, das der Kapitalismus anbietet – dass wir wie Könige leben könnten, wenn wir uns darauf einlassen, Anteile an unserer eigenen kollektiven Unterordnung zu erwerben. All dies ist nun zusammengebrochen. Übrig geblieben ist nur, was wir uns gegenseitig versprechen können. Direkt. Ohne dass wir hierfür wirtschaftliche oder politische Bürokratien bräuchten, die zwischen uns vermitteln. Die Revolution beginnt damit, dass wir uns fragen: Welche Art von Versprechen geben freie Männer und Frauen einander? Und wie können wir es anstellen, mittels dieser Versprechen eine andere Welt zu schaffen?
Revolution rückwärts
»Fantasie an die Macht«, »Seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche …« Jeder, der sich mit radikaler Politik befasst, hat diese Wendungen schon tausendmal gehört. Kommt man zum ersten Mal mit ihnen in Berührung, wirken sie faszinierend und mitreißend, doch irgendwann hat man sie so oft gehört, dass sie nur noch abgedroschen und banal klingen oder in der allgemeinen Geräuschkulisse eines radikalen Lebensstils einfach untergehen. Nur selten, wenn überhaupt, sind sie Gegenstand einer ernsthaften theoretischen Betrachtung.
Allerdings scheint mir eine solche theoretische Reflexion zum jetzigen Zeitpunkt keine schlechte Idee zu sein. Allgemein akzeptierte Definitionen haben ihre Gültigkeit verloren, und es ist gut möglich, dass wir auf einen revolutionären Moment oder vielleicht auf mehrere solcher Momente zusteuern. Doch was soll das überhaupt bedeuten? Nicht einmal das ist uns noch klar. Es ist daher nötig, Begriffe wie Realismus, Fantasie, Entfremdung, Bürokratie und auch Revolution selbst neu zu denken.
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