Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Dieser Text hier ist das Produkt dieser kontinuierlichen Anstrengung. Entstanden ist er aus einem mittlerweile circa sechs Jahre andauernden Engagement in der alternativen Globalisierungsbewegung, insbesondere aus der Zusammenarbeit mit ihren radikalsten, anarchistischen und an den Prinzipien der direkten Aktion orientierten Elementen. Man könnte diesen Text als eine Art theoretischen Zwischenbericht betrachten. Unter anderem möchte ich darin die Frage aufwerfen, warum die oben genannten Begriffe, bei denen die meisten von uns eher an längst vergessene Debatten der 1960er
Jahre denken müssen, in diesen Kreisen noch immer auf Resonanz stoßen. Was ist der Grund dafür, dass die Idee einer radikalen gesellschaftlichen Transformation häufig so »unrealistisch« erscheint? Was bedeutet Revolution, wenn man nicht mehr damit rechnet, dass es einen einzigen kataklystischen Bruch mit althergebrachten Strukturen der Unterdrückung geben wird? Diese Fragen scheinen zunächst in ganz unterschiedliche Richtungen zu weisen, die Antworten darauf hängen meiner Meinung nach jedoch eng zusammen. Wenn ich im Folgenden bestehende Theoriegebäude nur streife, geschieht dies mit Absicht: Ich möchte herausfinden, ob es möglich ist, aufbauend vor allem auf die Erfahrung dieser Bewegungen und die sie prägenden theoretischen Strömungen ansatzweise etwas Neues zu schaffen.
Dies sind die wesentlichen Punkte meiner Argumentation:
Rechte und linke politische Sichtweisen unterscheiden sich in erster Linie dadurch, dass sie auf unterschiedlichen Annahmen über die grundlegenden Realitäten der Macht beruhen. Die Rechte ist in einer politischen Ontologie der Gewalt verwurzelt, in der realistisch zu sein heißt, dass zerstörerische Kräfte stets einkalkuliert werden müssen. Im Gegenzug hat die Linke kontinuierlich Variationen über eine politische Ontologie der Imagination entworfen. Darin werden als grundlegende zu berücksichtigende Realitäten stets jene Kräfte angesehen (Produktivkräfte, Kreativität, …), durch die Dinge geschaffen werden.
Die Situation wird dadurch verkompliziert, dass systematische Ungleichheiten, die durch die Androhung von Gewalt aufrechterhalten werden, stets verzerrte und fragmentierte Strukturen der Imagination hervorbringen. Die
Erfahrung, innerhalb dieser zersplitterten Strukturen zu leben, wird von uns als »Entfremdung« bezeichnet.
Unsere übliche Auffassung von Revolution ist von der Idee des Aufstands geprägt: Das Ziel ist, durch einen Umsturz des Staats bestehende Gewaltrealitäten beiseitezuschieben und anschließend in der Bevölkerung genügend Fantasie und Kreativität freizusetzen, um auf diese Weise jene Strukturen zu überwinden, die Entfremdung erzeugen. Das eigentliche Problem ist dabei folgendes, wie im Verlauf des 20. Jahrhunderts klar geworden ist: Wie kann eine solche Kreativität institutionalisiert werden, ohne dass man neue, häufig noch gewaltsamere und entfremdende Strukturen schafft? Das auf der Idee des Aufstands beruhende Modell scheint demzufolge nicht mehr in Gänze realisierbar; es ist jedoch noch unklar, was an seine Stelle treten könnte.
Eine Antwort hierauf war, die Tradition der direkten Aktion wiederzubeleben. In der Praxis wird durch massenhafte Aktionen die übliche Abfolge eines Aufstands umgekehrt. Normalerweise kommt es ja zunächst zu einer dramatischen Auseinandersetzung mit der Staatsmacht, was zur Folge hat, dass überall Volksfeststimmung aufkommt; anschließend werden neue demokratische Institutionen geschaffen, und schließlich wird das Alltagsleben neu erfunden. Bei der Durchführung von Massenmobilisierungen hingegen werden zuerst neue, direktdemokratische Institutionen ins Leben gerufen. Vor allem Aktivisten aus subkulturellen Gruppen nutzen diese Institutionen, um »Festivals des Widerstands« zu organisieren. Erst zum Schluss kommt es dann zu Zusammenstößen mit dem Staat. Dies ist allerdings nur ein Aspekt einer allgemeineren Tendenz, althergebrachte Konzepte neu auszugestalten.
Ausgelöst wurde dies meiner Meinung nach teilweise durch den Einfluss des Anarchismus, in viel höherem Maße aber noch durch den Feminismus – eine Bewegung, die ja letztlich darauf abzielt, die Nachwirkungen jener Momente des Aufstands immer wieder aufs Neue heraufzubeschwören.
Diese Punkte will ich im Folgenden nacheinander aufgreifen und weiter vertiefen.
Teil I: »Seien wir realistisch ...«
Von Anfang 2000 bis Ende 2002 arbeitete ich mit dem New Yorker
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