Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
folglich das gesamte kapitalistische System nach unten reißt und möglicherweise den Planeten gleich mit.
Die Spiralen der Finanzialisierung und die endlose Abfolge wirtschaftlicher Blasen, die wir immer wieder erleben, sind eine direkte Konsequenz dieses Apparats. Es ist kein Zufall, dass Amerika die größte Militär- (und »Sicherheits«-) Macht der Welt und der größte Vermarkter von falschen »Sicherheiten«, also von Wertpapieren, geworden ist. Der Apparat existiert, um die menschliche Vorstellungskraft zu vernichten; alternative Zukunftsmodelle erscheinen somit undenkbar. Als Folge davon ist das Einzige, das man sich noch vorstellen kann, mehr und mehr Geld sowie Schuldenspiralen, die völlig außer Kontrolle geraten sind. Denn letztlich sind Schulden nichts anderes als Fantasiegeld, dessen Wert erst in Zukunft erbracht werden muss: zukünftige Profite, Gewinne, die durch die Ausbeutung von Arbeitern erzielt werden, die noch nicht einmal geboren sind. Finanzkapital wiederum ist das Kaufen und Verkaufen dieser imaginären zukünftigen Profite. Und wenn man erst einmal davon ausgeht, dass es den Kapitalismus selbst noch bis in alle Ewigkeit geben wird, ist als einzige mögliche Form der Wirtschaftsdemokratie höchstens noch ein System vorstellbar, in dem es jedem gleichermaßen offensteht, in den Markt zu investieren – sich sein Stück vom Kuchen zu schnappen in diesem Spiel, das darin besteht, imaginäre zukünftige Profite zu kaufen und zu verkaufen, selbst wenn diese Profite aus einem selbst herausgepresst werden müssen. Freiheit ist inzwischen nur noch das Recht, an den Gewinnen teilzuhaben, die durch die eigene dauerhafte Versklavung erzielt werden.
Und da die Blase darauf basierte, dass alle futures zerstört werden, schien es – zumindest für den Moment –, als würde nun, wo sie zerplatzt ist, völlige Leere herrschen.
Dieser Effekt ist allerdings nur vorübergehend. Wenn wir etwas aus der Geschichte der globalen Gerechtigkeitsbewegung lernen können, dann, dass die Vorstellungskraft sofort wieder aufscheint, wenn sich die Möglichkeit dazu ergibt. Im Prinzip passierte genau das Ende der 1990er Jahre, als es einen Moment lang so aussah, als wären wir dem Weltfrieden einen Schritt näher gekommen. Interessanterweise hat sich in den letzten fünfzig Jahren in den USA, wann immer es den Anschein hatte, als würde möglicherweise gleich Frieden ausbrechen, stets das Gleiche abgespielt: Es entstand eine radikale gesellschaftliche Bewegung, die sich den Prinzipien der direkten Aktion und der partizipativen Demokratie verschrieben und es sich zum Ziel gesetzt hatte, das politische Leben in seiner ganzen Tragweite zu revolutionieren. Ende der 1950er Jahre war es die Bürgerrechtsbewegung, Ende der 1970er Jahre die Anti-Atomkraft-Bewegung, und dieses Mal hatte die Bewegung gleich die ganze Welt erfasst und den Kapitalismus frontal herausgefordert. Im Normalfall sind derartige Bewegungen außerordentlich effektiv. Die Bewegung für globale Gerechtigkeit war es mit Sicherheit. Nur wenigen ist bewusst, dass einer der Hauptgründe für ihr rasches Aufflackern und Wiedererlöschen darin bestand, dass sie ihre grundlegenden Ziele so schnell erreicht hatte. Als wir 1999 die Protestaktionen in Seattle und im Jahr 2000 die Proteste während des IWF-Treffens in Washington D.C. organisierten, hätte sich niemand von uns träumen lassen, dass innerhalb von lediglich drei oder vier Jahren der gesamte WTO-Prozess zum Erliegen kommen
würde, dass die »Freihandels«-Ideologien nahezu vollständig in Verruf geraten würden, dass jedes neue Handelsabkommen, das sie uns vorsetzten – vom Multilateralen Abkommen über Investitionen (MAI) bis zur Gesamtamerikanischen Freihandelszone –, verhindert werden würde, dass die Weltbank kaum noch handlungsfähig sein und dass die Macht des IWF über den Großteil der Weltbevölkerung praktisch zerschlagen werden würde. Doch genau das ist geschehen. Vor allem das Schicksal des IWF ist in diesem Zusammenhang erstaunlich. Einst der Schrecken der Länder des Globalen Südens, ist der Fonds heute nur noch ein trauriges Überbleibsel seiner selbst, geschmäht und in Verruf geraten. Ihm bleibt nur noch, seine Goldreserven zu verkaufen und verzweifelt nach einer neuen Aufgabe in der Welt Ausschau zu halten. Unterdessen hat sich der Großteil der »Schulden der Dritten Welt« einfach in Luft aufgelöst. Alle diese Entwicklungen sind direkt auf den Erfolg einer Bewegung
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