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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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Anarchisten häufig erkennen müssen. Dass Schlagstöcke so selten zum Einsatz kommen, trägt lediglich dazu bei, dass die Gewalt schwerer zu erkennen ist. Die Auswirkungen, die diese ganzen gesetzlichen Vorschriften mit sich bringen, scheinen somit nicht vom Gewaltmonopol des Staates auszugehen, sondern von der Größe, Festigkeit und Schwere der Gegenstände selbst herzurühren. Diese
Vorschriften setzen dabei fast immer voraus, dass Beziehungen zwischen einzelnen Personen üblicherweise über den Markt zustande kommen und dass Gruppen im Normalfall auf der Grundlage von Hierarchie- und Befehlsbeziehungen organisiert sind.
    Wenn also von einem verlangt wird, »realistisch« zu sein, geht es in aller Regel nicht darum, selbstverständliche materielle Gegebenheiten oder irgendeine angeblich schreckliche Wahrheit über die menschliche Natur anzuerkennen. Vielmehr soll man einfach die Auswirkungen einer systematischen Androhung von Gewalt akzeptieren. Dies schlägt sich sogar in unserer Sprache nieder. Warum wird beispielsweise eine Immobilie im Englischen als »real property« beziehungsweise »real estate« bezeichnet? Das Wort »real« stammt in dieser Verwendung nicht vom lateinischen res beziehungsweise »Ding« ab. Es leitet sich vielmehr vom spanischen Wort real her, das »königlich«, »(zu) einem König gehörend« bedeutet. Der gesamte Grund und Boden innerhalb eines souveränen Herrschaftsgebiets gehört letztlich dem Souverän; rechtlich gesehen ist dies auch heute noch der Fall. Aus diesem Grund ist der Staat befugt, seine gesetzlichen Vorschriften durchzusetzen. Doch letzten Endes läuft Souveränität immer auf ein Monopol auf etwas hinaus, das euphemistisch als »Gewalt« bezeichnet wird, worin allerdings immer auch schon die zweite Wortbedeutung »Gewaltsamkeit« mitschwingt. Ähnliches klingt auch bei Giorgio Agamben an, der die berühmte These aufgestellt hat, dass etwas aus der Sicht der souveränen Macht deshalb lebendig ist, weil man es töten kann. Analog könnte man argumentieren, dass dem »property« (Immobilie, Grundbesitz) deshalb im Englischen »real« vorangestellt wird, weil sich der Staat der Immobilie bemächtigen oder diese zerstören kann.
    Gleichermaßen geht jemand, der in Internationalen Beziehungen eine Position des »Realismus« vertritt, grundsätzlich davon aus, dass Staaten zur Verfolgung ihrer nationalen Interessen sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Befugnisse, einschließlich der Waffengewalt, nutzen. Doch welche Art von »Realität« erkennt man damit an? Sicherlich nicht die materielle Realität. Die Idee, dass es sich bei Nationen um menschenähnliche Gebilde mit Zielen und Interessen handelt, ist eine rein metaphysische Vorstellung. Der französische König hatte bestimmte Ziele und Interessen, »Frankreich« jedoch nicht. Anzunehmen, dass ein Land über Ziele und Interessen verfügt, ist insofern »realistisch«, als diejenigen, die an der Spitze von Nationalstaaten stehen, die Macht haben, Armeen auszuheben, in ein Land einzufallen und Städte zu bombardieren. Sie können folglich damit drohen, im Namen ihrer so genannten »nationalen Interessen« organisierte Gewalt anzuwenden. Es wäre äußerst naiv, diese Möglichkeit zu ignorieren. Nationale Interessen sind folglich deshalb real, weil sie einen töten können.
    Der entscheidende Begriff in diesem Zusammenhang ist mithin »Gewalt«, wie es im Wort »Gewaltmonopol« steckt, also dem »Staatsmonopol der Gewaltausübung«. Wann immer dieses Wort zitiert wird, sehen wir uns einer bestimmten politischen Ontologie gegenüber. Innerhalb dieser Ontologie gilt die Macht zu zerstören, anderen Schmerzen zuzufügen, sie zu verstümmeln (oder sie einfach für den Rest ihres Lebens in einen winzigen Raum einzusperren) als das soziale Pendant ebenjener Kräfte, die den Kosmos zusammenhalten. Lassen Sie sich hierzu einmal die Metaphern und Bedeutungsverschiebungen auf der Zunge zergehen, die in den folgenden beiden Sätzen zum Tragen kommen:
    Wissenschaftler untersuchen die Beschaffenheit der physikalischen Gesetze, um besser verstehen zu können, welche Art von Kräften das Universum lenken.
     
    Die Polizei ist äußerst fachkundig, wenn es um die wissenschaftliche Anwendung physischer Kräfte zur Durchsetzung der Gesetze geht, die die Gesellschaft lenken.
    Dies kommt meinem Empfinden nach dem Kern rechten Denkens sehr nahe. Wir haben es folglich mit einer politischen Ontologie zu tun, die durch subtile Mittel

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