Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Selbstlosigkeit.
An dieser Stelle wollen wir einmal kurz über die Bedeutung des Wortes »Wert« nachdenken. Wenn Ökonomen über Wert sprechen, meinen sie damit in Wirklichkeit Geld – oder genauer gesagt, was auch immer mittels Geld gemessen wird. Außerdem ist mit Wert auch immer das gemeint, wonach wirtschaftliche Akteure vermeintlich streben. Wenn wir unseren Lebensunterhalt verdienen oder Dinge kaufen und verkaufen, werden wir dafür mit Geld belohnt. Wenn wir jedoch nicht arbeiten, kaufen oder verkaufen, wenn wir von allen möglichen Trieben geleitet werden außer dem Wunsch, Geld zu verdienen, dann befinden wir uns auf einmal in der Sphäre der »Werte«. Die Werte, die am häufigsten ins Feld geführt werden, sind natürlich »Ehe und Familie« (was nicht überrascht, da die bei Weitem häufigste Form unbezahlter Arbeit in Industriegesellschaften die Kindererziehung sowie die Hausarbeit ist). Doch auch religiöse Werte, politische Werte oder Werte im Zusammenhang mit Kunst oder Vaterlandsliebe sind hier zu nennen. Man könnte vielleicht sogar die unerschütterliche Treue eines Fans zu seiner Basketballmannschaft hinzurechnen. All diese Werte gelten als Verpflichtungen oder Bindungen, die noch nicht durch den Markt korrumpiert wurden, zumindest theoretisch nicht. Gleichzeitig werden sie als etwas völlig Unverwechselbares angesehen. Anders als Geld, durch das alle Dinge vergleichbar werden, sind »Werte« wie Schönheit, Selbstaufopferung oder Ehrlichkeit per definitionem
nicht messbar. Es gibt keine mathematische Formel, mit deren Hilfe man beispielsweise ausrechnen könnte, wie viel persönliche Integrität man im Rahmen seines künstlerischen Schaffens genau aufgeben darf oder wie man ein ausgewogenes Verhältnis zwischen seiner Verantwortung für die Familie und seiner Verantwortung vor Gott herstellt. (Natürlich gehen Menschen ständig solche Kompromisse ein; allerdings können diese nicht in irgendeiner Form berechnet werden.) Man könnte es vielleicht wie folgt formulieren: Wenn Wert einfach das ist, was jemand für wichtig hält, dann verleiht Geld dieser Bedeutung eine liquide Form, es ermöglicht uns, verschiedene Mengen an Bedeutung exakt miteinander zu vergleichen und gegeneinander einzutauschen. Wenn es jemandem tatsächlich gelingt, einen sehr großen Geldbetrag anzusammeln, so wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit als Erstes versuchen, dieses Geld in etwas Einmaliges umzuwandeln, egal ob es sich dabei um Monets Seerosen , ein preisgekröntes Rennpferd oder einen Stiftungslehrstuhl an einer Universität handelt.
In Wirklichkeit geht es also in jeder Marktwirtschaft genau um diese Fähigkeit, derartige Tauschhandlungen zu vollziehen, also »Wert« in »Werte« umzuwandeln. Jeder von uns trachtet danach, eine Position zu erlangen, aus der heraus er nach Höherem streben kann. Wenn Liberale in Amerika zu Ansehen gelangen, dann deshalb, weil es ihnen gelingt, diese Möglichkeit zu verkörpern. So gelten beispielsweise die Kennedys nicht nur deshalb als ultimative demokratische Idole, weil sie als arme irische Einwanderer nach Amerika gekommen waren und dann zu großem Reichtum gelangten, sondern weil es ihnen scheinbar gelungen ist, dieses ganze Geld in edelmütige Gesinnung zu verwandeln.
These III
Das wirkliche Problem der amerikanischen Linken besteht darin, dass sie zwar versucht, den Gegensatz zwischen Egoismus und Altruismus sowie zwischen Wert und Werten zu beseitigen, allerdings in erster Linie zugunsten ihrer eigenen Kinder. Dadurch ist es der Rechten paradoxerweise gelungen, sich als Fürsprecher der Arbeiterklasse zu inszenieren.
All dies könnte als mögliche Erklärung dienen, weshalb die Linke in Amerika sich in einem derart desolaten Zustand befindet. Die Linke ist zurzeit weit davon entfernt, neue zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln, wie die Unterscheidung zwischen Egoismus und Altruismus, zwischen Wert und Werten aus der Welt geschafft werden könnte. Genauso wenig kann sie ein Modell anbieten, wie man von einem zum anderen kommen könnte. Noch nicht einmal gedanklich scheint sie diese Gegensätze überwinden zu können. Nach den Präsidentschaftswahlen von 2004 wurde in progressiven Kreisen heftig darüber debattiert, welche Relevanz wirtschaftlichen Themen im Vergleich zu dem so genannten »Kulturkampf« zwischen Demokraten und Republikanern zukam. Haben die Demokraten damals deshalb verloren, weil sie keine überzeugenden wirtschaftlichen Alternativen anbieten
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