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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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weniger begüterten Studenten praktisch verschlossen, obwohl er einen geisteswissenschaftlichen Abschluss erworben hat. Natürlich hat es derartige Strukturen der Ausgrenzung schon immer gegeben, vor allem in Bezug auf Spitzenpositionen, jedoch sind in den letzten Jahrzehnten aus Zäunen uneinnehmbare Festungen geworden.
    Wenn nun aber der Sohn – oder auch die Tochter – des Automechanikers eine Laufbahn anstrebt, bei der ehrenwerte Ziele und Ideale im Vordergrund stehen, welche Optionen stehen ihm oder ihr dann überhaupt noch offen? Vermutlich nur zwei: Einmal könnten sie versuchen, eine Anstellung in ihrer Kirche oder Gemeinde zu bekommen, was jedoch schwierig ist. Oder sie können zur Armee gehen.
    Genau darin besteht selbstverständlich das Geheimnis einer edelmütigen Gesinnung. Edelmütig zu sein heißt, großzügig,
anständig und selbstlos zu sein und höhere Formen von Wert anzustreben. Gleichzeitig bedeutet es jedoch auch, all dies tun zu können, weil man sich keine großen Sorgen um das Thema Geld zu machen braucht. Genau das ist der Fall bei den zuvor beschriebenen amerikanischen Soldaten, die Dorfbewohner kostenlos zahnärztlich untersuchen: Sie werden bezahlt (zwar nicht üppig, aber angemessen), um Gutes in der Welt zu tun. Unter diesem Aspekt betrachtet, kann man auch eher verstehen, was in den 1960er Jahren wirklich an den Universitäten geschehen ist; damit meine ich die »Vereinbarung«, von der ich weiter oben bereits gesprochen habe. Radikale Studenten hatten sich damals vorgenommen, eine neue Gesellschaft zu schaffen, in der die Unterscheidung zwischen Egoismus und Altruismus, zwischen Wert und Werten ausgelöscht werden sollte. Dies ist ihnen zwar nicht gelungen, aber dafür wurde ihnen quasi eine Art Entschädigung angeboten: Diese bestand in dem Privileg, das Universitätssystem nutzen zu können, um Lebensentwürfe hervorzubringen, die diese Ziele im Kleinen verwirklichen. Zudem wurde ihnen finanzielle Unterstützung zur Deckung ihrer materiellen Bedürfnisse gewährt, und sie konnten trotzdem weiterhin nach Tugendhaftigkeit, Wahrheit und Schönheit streben. Und vor allem war es ihnen gestattet, dieses Privileg an ihre Kinder weiterzugeben. Selbstverständlich kann man es ihnen kaum verübeln, dass sie dieses Angebot angenommen haben. Aber genauso wenig kann man es der übrigen Bevölkerung verübeln, dass sie einen fürchterlichen Groll gegen diese Leute hegt und sie sogar verabscheut. Und nicht weil sie etwas gegen das Projekt an sich hätte: Wie bereits gesagt, genau darum geht es in Amerika.
    Dies erkläre ich auch Aktivisten, die sich in der Friedensbewegung oder bei Antirekrutierungskampagnen engagieren, immer wieder, wenn sie fragen, warum junge Leute aus der
Arbeiterklasse überhaupt zur Armee gehen wollen: Weil sie wie jeder Teenager einer Welt entkommen wollen, die von monotoner Arbeit und gedankenlosem Konsumverhalten geprägt ist. Weil sie stattdessen Abenteuer und Kameradschaft erleben und ein Leben führen wollen, in dem sie ihrer Meinung nach etwas wirklich Edles und Gutes tun. Sie gehen im Prinzip zur Armee, weil sie so sein wollen wie ihr.

Die Misere des Postoperaismus
    Am 19. Januar 2008 trafen sich mit Toni Negri, Franco ‚Bifo’ Berardi, Maurizio Lazzarato und Judith Revel etliche Schwergewichte des italienischen Postoperaismus, um in der Londoner Tate Modern über Kunst zu diskutieren. Der folgende Aufsatz ist eine Besprechung dieser Veranstaltung.
    Oder zumindest ist es in gewissem Sinne eine Besprechung. Im Grunde möchte ich eine genaue Schilderung der Ereignisse bieten. Gleichzeitig möchte ich herausarbeiten, warum ich das, was sich im Rahmen dieser Veranstaltung ereignete, für interessant und wichtig halte. Dabei gehe ich so vor, dass ich neben dem, was während des Symposiums zur Sprache kam, auch gerade das in den Blick nehme, was unausgesprochen blieb. Gleichzeitig will ich den Fragen nachgehen »Warum immaterielle Arbeit?« und »Warum hielten es die Veranstalter überhaupt für sinnvoll, eine Gruppe revolutionärer italienischer Theoretiker nach London einzuladen, um dort über Kunstgeschichte zu diskutieren?« Indem ich diese Fragen stelle, kann ich gleichzeitig etliche sehr viel allgemeinere Aussagen über das Wesen der Kunst, der Politik, der Geschichte und der Gesellschaftstheorie treffen, die, wie ich hoffe, mindestens ebenso interessant und potenziell aufschlussreich sind wie das, was während der Diskussionen tatsächlich zur Sprache

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