Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
könnte als eine Art Ersatz hierfür angesehen werden. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wurden enorme Mittel in das Hochschulsystem gepumpt, das dadurch rasch expandieren konnte. Diese Expansion wurde als Instrument zur Förderung der sozialen Mobilität ausdrücklich vorangetrieben. Während des Kalten Kriegs diente diese Maßnahme quasi als eine Art stillschweigender Gesellschaftsvertrag, die den arbeitenden Klassen ein angenehmes Leben ermöglichte und ihnen zugleich die Aussicht darauf bot, dass ihre Kinder einst nicht mehr der Arbeiterklasse angehören würden.
Das Problem hierbei ist natürlich, dass ein Hochschulsystem nicht beliebig ausgebaut werden kann. Irgendwann gelangt man an den Punkt, wo ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung nicht mehr in der Lage ist, einen Arbeitsplatz zu finden, der auch nur entfernt ihren Qualifikationen entspricht. Diese haben dann natürlich allen Grund, wütend angesichts ihrer Lage zu sein. Zudem steht ihnen die gesamte Geschichte des radikalen Denkens zur freien Verfügung. Die meisten Revolten und Aufstände im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden genau durch eine solche Ausgangslage ausgelöst. Helden der Revolution vom Großen Vorsitzenden Mao bis hin zu Fidel Castro waren fast immer Kinder armer Eltern, die unter harten Entbehrungen ihren Kindern eine bürgerliche Bildung ermöglichten, nur um dann festzustellen, dass eine bürgerliche Bildung allein noch nicht gewährleistet, dass man den Aufstieg in die Bourgeoisie schafft. Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre, also genau zu dem Zeitpunkt, als der Ausbau des Hochschulsystems
an seine Grenzen gestoßen war, kam es dann auch, wie leicht vorauszusehen war, zu gewaltigen Unruhen an den Universitäten.
In der Folge wurde eine Art Vereinbarung getroffen; zumindest könnte man es so umschreiben. Radikale Studenten wurden an die Universitäten zurückgeholt, waren nun aber hauptsächlich damit beschäftigt, die Kinder der Elite auszubilden. Die Kosten für ein Studium schossen in die Höhe, gleichzeitig wurde die finanzielle Unterstützung gekürzt, und die Regierung drängte verstärkt auf die Rückzahlung von Schulden aus Studienkrediten, die früher hauptsächlich auf dem Papier existierten. All diese Gründe haben dazu geführt, dass die Chancen auf soziale Mobilität durch Bildung – vor allem im Bereich der Geisteswissenschaften – sich rapide verschlechtert haben. Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der Studierenden aus Arbeiterfamilien an den großen Universitäten ab; bis mindestens Ende der Sechzigerjahre war diese Zahl noch stetig gewachsen.
Wenn es wirklich der Fall sein sollte, dass Bush-Wähler aus der Arbeiterklasse in der Regel einen tieferen Groll gegen Intellektuelle hegen als gegen Reiche, dann liegt dies höchstwahrscheinlich daran, dass sie sich durchaus Szenarien vorstellen können, in denen sie zu Reichtum gelangen. Dass sie oder ihre Kinder allerdings je einmal der Intelligenz angehören, erscheint hingegen undenkbar. Wenn man einmal darüber nachdenkt, ist diese Einschätzung durchaus plausibel. Ein Automechaniker aus Nebraska weiß, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass sein Sohn oder seine Tochter jemals in leitender Position für das Unternehmen Enron tätig sein wird. Doch es ist keineswegs unmöglich. Im Gegensatz dazu ist es praktisch völlig ausgeschlossen, dass sein Kind, und wenn es noch so begabt ist, jemals ein international bekannter Menschenrechtsanwalt
oder Theaterkritiker der New York Times wird. In diesem Zusammenhang muss neben den Veränderungen der Hochschullandschaft ebenfalls die Rolle unbezahlter oder quasi unbezahlter Praktika berücksichtigt werden. Wenn man sich für eine berufliche Laufbahn entscheidet und sich bei dieser Entscheidung nicht ausschließlich von finanziellen Motiven leiten lässt, ist es in den Vereinigten Staaten mittlerweile trauriger Alltag, dass man in diesem Fall in den ersten ein oder zwei Berufsjahren keinerlei Bezahlung erhält. Dies gilt mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn man eine sinnstiftende, altruistische Tätigkeit anstrebt, also beispielsweise für Wohltätigkeitsorganisationen, Nichtregierungsorganisationen oder als politischer Aktivist arbeiten will. Doch dasselbe trifft auch zu, wenn man Werte wie Schönheit oder Wahrheit anstrebt, wenn man also beispielsweise im literarischen Bereich, in der Kunstwelt oder als investigativer Journalist tätig werden will. Durch diesen Usus bleibt eine solche Laufbahn einem
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