Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
Vom Netzwerk:
Uns mag es merkwürdig erscheinen, wenn wir beobachten, wie etwa einflussreiche Männer mit ihren Vettern gemeinsame Sache machen, um sich enorme Reichtümer zu erschleichen, die sie dann ihren Erzfeinden als Geschenk überreichen, mit der Absicht, sie auf diese Weise öffentlich zu demütigen. Das liegt jedoch daran, dass wir uns schon so daran gewöhnt haben, auf unpersönlichen Märkten zu agieren. Es kommt uns gar nicht in den Sinn, einmal darüber nachzudenken, wie wir uns innerhalb eines Wirtschaftssystems verhalten würden, in dem es üblich ist, die Leute genau so zu behandeln, wie man auch tatsächlich zu ihnen steht.
    Heutzutage bleibt es hauptsächlich den Missionaren vorbehalten, derartige Lebensweisen zu zerstören – also den Vertretern jener Weltreligionen, die ursprünglich einmal vor langer Zeit als Reaktion auf die Herausbildung von Märkten entstanden waren. Das Ziel der Missionare ist es natürlich, Seelen zu retten, was aber nicht heißt, dass sie lediglich die Menschen dazu bringen, an Gott zu glauben und sich weniger egoistisch zu verhalten. Fast immer laufen ihre Bemühungen darauf hinaus, Leute dazu zu bewegen, eigennütziger und zugleich selbstloser zu werden. So wollen sie den »Eingeborenen« Fleiß und Disziplin beibringen und sie dazu animieren, in Zukunft Produkte auf dem Markt zu kaufen und zu verkaufen, damit sie ihr materielles Los verbessern können. Parallel dazu machen sie ihnen klar, dass materielle Dinge letztlich bedeutungslos seien, und predigen, dass es vor allem darauf ankomme, nach höheren Werten zu streben wie beispielsweise der selbstlosen Aufopferung für andere.

THESE II
    Die politische Rechte hat immer schon versucht, die Kluft zwischen diesen beiden Extremen zu vergrößern. So konnte sie behaupten, gleichzeitig für Egoismus und Altruismus einzutreten. Die Linke hingegen war stets bestrebt, diesen Gegensatz zu beseitigen.
    Könnte dies nicht erklären, warum die Vereinigten Staaten, die am stärksten marktorientierte Industriegesellschaft der Welt, gleichzeitig die religiöseste ist? Oder, was vielleicht noch verblüffender ist, warum das Land, das einen Tolstoi und einen Dostojewski hervorgebracht hat, einen Großteil des
20. Jahrhunderts darauf verwendete, sowohl den Markt als auch die Religion völlig auszumerzen?
    Die politische Linke hat stets versucht, den Unterschied zwischen Egoismus und Selbstlosigkeit zu beseitigen, sei es durch die Schaffung nicht profitorientierter Wirtschaftssysteme oder indem sie an die Stelle privater Wohltätigkeit die eine oder andere Form von Unterstützung durch die Gemeinschaft setzte. Die politische Rechte hingegen ist mit dieser Unterscheidung immer sehr gut gefahren. So wird beispielsweise die Republikanische Partei in den Vereinigten Staaten von zwei ideologischen Flügeln dominiert: die so genannten libertarians und die Christliche Rechte. Auf der einen Seite sind die Republikaner fundamentalistische Anhänger der freien Marktwirtschaft und Verfechter individueller Freiheit (auch wenn sie unter Freiheit hauptsächlich die Wahlfreiheit der Verbraucher verstehen). Auf der anderen Seite sind sie jedoch auch Fundamentalisten im wörtlicheren Sinne, denen die meisten individuellen Freiheiten suspekt sind, die sich aber für biblische Verbote, die Werte Ehe und Familie und karitative Werke begeistern können. Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass ein solches Bündnis auf Dauer bestehen kann, ohne zu zerbrechen. (Und natürlich gibt es durchaus anhaltende Kontroversen; das bekannteste Beispiel hierfür ist vermutlich das Thema Abtreibung.) Doch genau genommen weisen politisch rechtsstehende Bündnisse fast immer eine derartige Zusammensetzung auf. Die Strategie der Konservativen, so könnte man sagen, hat stets darin bestanden, die Kräfte des Marktes zu entfesseln, alle traditionellen Wahrheiten über den Haufen zu werfen und sich dann in diesem ganzen Tumult und dieser Instabilität als die letzte Bastion der Ordnung und Hierarchie zu gerieren, als unerschütterliche Verfechter der Autorität von Kirchen und Vätern, die sich beherzt den Barbaren
entgegenstellen, die sie selbst herbeigerufen haben. Das mag zwar ein Schwindel sein, doch er funktioniert erstaunlich gut. Ein zusätzlicher Effekt ist, dass am Ende der Eindruck entsteht, die Rechte habe ein Monopol auf Werte. Es gelingt ihnen, sozusagen beide Positionen, jeweils am äußeren Rand des Spektrums, zu besetzen: den extremen Egoismus, aber auch die extreme

Weitere Kostenlose Bücher