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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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möglich. Seiner Meinung nach ist der Selbstmord die einzig verbliebene Form effektiven politischen Handelns. Kunst und Leben seien verschmolzen, was einer Katastrophe gleichkomme. Außerdem sei es aktuell unvorstellbar, dass es je wieder zu einer neuen Welle radikaler Subjektifizierung kommen könnte. Wenn es Hoffnung gebe, dann nur die Hoffnung auf irgendeine große Katastrophe, nach welcher sich vielleicht, möglicherweise, eventuell alles verändern könnte. Diesem Beitrag folgte eine konfuse und bedrückende Diskussion, in der Bifo seine Resignation auf fröhliche und charmante Weise verteidigte, wobei er zugab, Deleuze zugunsten von Baudrillard aufgegeben zu haben. Alles sei hoffnungslos, so Bifo, »hoffentlich liege ich falsch«.
    Toni Negri
    hatte das Thema »Concerning Periodisation in Art: Some Approaches to Art and Immaterial Labour« [»Zur Periodisierung in der Kunst: Verschiedene Annäherungen an Kunst und immaterielle Arbeit«]. Er begann seinen Vortrag, wie der Titel bereits nahelegt, mit einem kurzen geschichtlichen Überblick, wie künstlerische Tendenzen seit den 1840er Jahren Veränderungen in der Zusammensetzung der Arbeitskraft widergespiegelt hatten. (Dieser Teil seines Beitrags war äußerst klar und gut verständlich. Dann begann der eigentliche Vortrag.) Nach 1968 kam der Postmodernismus, aber auch das hätten wir inzwischen überwunden. All die verschiedenen »Post«-Strömungen seien Vergangenheit, wir befänden uns schon wieder in einer neuen Phase: und zwar der Kontemporaneität. In dieser Phase würden wir erkennen, dass das endgültige Ende der kognitiven Arbeit die Prothese darstelle, die
gleichzeitige Genese von Mensch und Maschine. Als biopolitische Macht wird sie zur fortdauernden Explosion, zum maßlosen Lebensüberschuss, durch den die Macht der Multitude ethische Form annehmen kann, und zwar im Rahmen der Schaffung neuer globaler Gemeingüter. Trotz der gelegentlich explosiven Metaphern wurde der Vortrag als Ausdruck eines leisen, aber entschlossenen revolutionären Optimismus aufgefasst, den Negri Bifos großer Geste der Verzweiflung entgegenzusetzen versuchte. Allerdings wurde dieser Eindruck etwas abgeschwächt, weil fast niemand im Publikum Negris Argumentation in Gänze zu folgen vermochte. War der erste analytische Teil seines Papiers noch bewundernswert konkret, so nahm der Abstraktionsgrad seiner Formulierungen, sobald es um revolutionäre Perspektiven ging, so sehr zu, dass es zumindest mir (und das, obwohl ich ausgiebig mitschrieb!) nahezu unmöglich war zu verstehen, was all das in der Praxis heißen sollte.
    Nun sollte eine abschließende Diskussion folgen, und jeder Sprecher wurde gebeten, jeweils ein Fazit zu ziehen. Doch niemand wollte so richtig. Lazzarato sträubte sich, er wollte nichts sagen: »Bifo hat mich deprimiert.« Auch Bifo passte. Negri räumte ein, dass Bifo in seinem Vortrag sehr wohl die »schwerste, drückendste« Frage der heutigen Zeit umrissen habe, doch alles sei noch nicht verloren, beteuerte er, vielmehr sei eine neue Sprache erforderlich, um in Zukunft überhaupt über derartige Themen nachdenken zu können. Nur Judith Revel sprang in die Bresche und stellte fest, dass allen elenden Realitäten der Welt zum Trotz die Kraft unserer Empörung ebenso real sei – die einzige Frage sei, wie diese Kraft in Gemeingut transformiert werden könne.
    Das Einschreiten Revels hatte etwas von dem verzweifelten Versuch, die Situation zu retten. Alle machten sich verwirrt und ein wenig verunsichert auf den Nachhauseweg. Besonders erschütternd war, dass Bifo seinen Glauben verloren zu haben schien, wo er doch gewöhnlich als Verkörperung der Hoffnung schlechthin gilt. Selbst während dieser Veranstaltung schienen sein Verhalten und seine Argumentation einander diametral entgegengesetzt. Jede seiner Gesten verströmte eine Art spielerischer Energie, eine Freude über die Tatsache, dass er existierte. Er schien jedoch entschlossen, diesen Eindruck mit jedem Wort aus seinem Mund zunichtezumachen und zu negieren. Man wusste nicht recht, was man davon halten sollte.
    Statt die angerissenen Argumente nun Punkt für Punkt aufzugreifen – wie bereits gesagt, stellt der vorliegende Text ja nur in gewissem Sinne eine Besprechung dar –, möchte ich zunächst darüber reflektieren, was die Vorträge gemeinsam hatten. Mit anderen Worten, es geht mir im Folgenden nicht darum, in den Ring zu steigen und endlos darüber zu streiten, ob nun Foucault oder Deleuze

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