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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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geeigneter sind, um das radikale Potenzial des gegenwärtigen historischen Moments herauszuarbeiten. Vielmehr will ich ergründen, wie es überhaupt dazu kam, dass solche Fragen von italienischen Revolutionären in einem Kunstmuseum diskutiert wurden. Vier Beobachtungen überraschten mich während der Veranstaltung dann doch etwas:
Es fand fast keinerlei Diskussion über zeitgenössische Kunst statt. Praktisch jedes Kunstwerk, das erwähnt wurde, ließ sich der klassischen Avantgarde (Dada, Futurismus, Duchamp, Abstrakter Expressionismus) zuordnen. In seiner Geschichte der Kunstformen stieß Negri bis
in die 1960er Jahre vor; Bifo wiederum erwähnte Banksy. Doch damit hatte es sich auch schon.
Obwohl man alle Redner den italienischen Autonomisten zurechnen konnte und sie ja anscheinend eingeladen worden waren, um über immaterielle Arbeit zu diskutieren, ein Konzept, das der autonomistischen (sprich postoperaistischen) Tradition Italiens entstammt, wurden erstaunlicherweise nur sehr wenige Ideen, die charakteristisch für diese Tradition sind, aufgeboten. Die Theoriesprache bediente sich fast ausschließlich bei den altbekannten Helden der französischen Philosophie der 68er-Bewegung: Michel Foucault, Jean Baudrillard, Deleuze und Guattari … So betonte der Herausgeber der Zeitschrift Multitudes , Eric Alliez, bei der Vorstellung von Negri etwa, eine seiner großen Leistungen sei gewesen, diesen Denkern neues Leben eingehaucht und ihnen zu neuer Glaubwürdigkeit in der Szene verholfen zu haben. Negri habe es in seinen Werken geschafft, deren Relevanz für den revolutionären Kampf erneut vor Augen zu führen.
In ihren Beiträgen nutzten die Vortragenden die genannten französischen Theoretiker als Ausgangspunkt, um eine Theorie historischer Phasen zu entwickeln; in manchen Fällen imitierten sie sie auch schlicht, indem sie sich eine analoge eigene Theorie ausdachten. Die Schlüsselfrage bei allen war: Wie lautet der richtige Begriff, um die Gegenwart zu charakterisieren? Was macht unsere heutige Zeit so einzigartig? Liegt es daran, dass wir von einer Disziplinargesellschaft zu einer Sicherheits- bzw. Kontrollgesellschaft geworden sind? Oder kommt es daher, dass die auf Zusammenfügung beruhenden Regime von Regimen der Vernetzung abgelöst wurden? Erleben wir einen Übergang von formeller zu reeller Subsumtion?
Oder von der Moderne zur Postmoderne? Oder haben wir die Postmoderne auch schon wieder überwunden und sind in eine völlig neue Phase eingetreten?
Jeder verhielt sich erstaunlich höflich. Es waren keinerlei kühne, rebellische Behauptungen zu hören. Die Diskussion hätte nicht einmal den biedersten Tate-Britain-Kurator aus der Fassung gebracht, geschweige denn einen der konservativen Sponsoren des Museums. Dies ist deshalb erwähnenswert, weil niemand ernsthaft behaupten kann, den Rednern mangle es an radikaler Glaubwürdigkeit. Die meisten haben bereitwillig persönliche Risiken auf sich genommen, wann immer sich eine realistische Aussicht auf eine Revolution abzeichnete. Zwar ist dies natürlich eine Weile her (Negri etwa geriet vor allem in den 1970er Jahren in Konflikt mit dem italienischen Staat), aber dennoch stand außer Zweifel, dass alle oder zumindest die meisten von ihnen sich umgehend an den Barrikaden eingefunden hätten, wenn es während ihres Aufenthalts in London zu einem bewaffneten Aufstand des Proletariats gekommen wäre. Doch nichts dergleichen geschah, und so beschränkten sich ihre Angriffe und ihre Kritik auf die Theorien anderer Intellektueller wie Badiou, Rancière oder Agamben.
    Diese Beobachtungen mögen wahllos zusammengestellt wirken, doch in ihrer Summe sind sie, wie ich meine, äußerst aufschlussreich. Warum würde beispielsweise jemand die These vertreten wollen, dass wir im Jahr 2008 einen einzigartigen historischen Augenblick durchleben, der mit nichts zuvor vergleichbar ist, und dann so tun, als könne dieser Augenblick ausschließlich mithilfe von Konzepten beschrieben werden, die französische Denker in den 1960er und 1970er Jahren entwickelt hatten, um dann im Anschluss seine Thesen fast
ausschließlich an Kunstwerken zu verdeutlichen, die zwischen 1916 und 1922 entstanden waren?
    Dies wirkt in der Tat erstaunlich willkürlich. Dennoch gibt es dafür vermutlich einen Grund. Wir könnten in diesem Zusammenhang fragen: Was haben der Moment des Futurismus, des Dada, des Konstruktivismus und so weiter mit dem französischen 68er-Denken gemeinsam? Tatsächlich ziemlich

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