Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
kam.
Ein Abriss der Ereignisse
Im Folgenden möchte ich einen sehr kurzen Überblick über den tatsächlichen Ablauf der Veranstaltung geben.
Die Tagung wurde von Peter Osborne und weiteren, an der Fachzeitschrift Radical Philosophy mitwirkenden Wissenschaftlern des Middlesex College in Zusammenarbeit mit Eric Alliez organisiert, dem Herausgeber der französischsprachigen Politik-, Kultur- und Kunstzeitschrift Multitudes . Keiner der Veranstalter kam aus der Kunstszene. Auch die eingeladenen Redner hatten sich im Vorfeld nicht unbedingt in erster Linie als Kunsttheoretiker einen Namen gemacht. Allen war somit bewusst, dass sie neues Terrain sondierten. Dies galt auch für die Mehrzahl der Zuhörer. Das Symposium war sehr gut besucht, vor allem von Studierenden und akademischen Lehrkräften, die augenscheinlich in der postgradualen Hochschulbildung und insbesondere an deren Schnittstellen zum Kulturbetrieb tätig waren. Für zahlreiche, vor allem jüngere Wissenschaftler waren die Vortragenden große Namen, die fast wie Rockstars verehrt wurden, was wohl insbesondere auf Negri zutrifft. Viele der Studierenden aus den höheren Semestern waren vermutlich zum Teil nur deshalb gekommen, um endlich einmal die Personen leibhaftig kennen zu lernen, deren Ideen sie während ihrer intellektuellen Laufbahn so intensiv diskutiert hatten: um zu sehen, wie sie aussahen, was sie anhatten, wie sie sich gaben, sprachen und sich bewegten. Vielleicht wollten sie sogar die Gelegenheit nutzen, sich im Anschluss an die Tagung im Pub um sie zu scharen und auf Tuchfühlung zu gehen.
Genau das macht natürlich in Teilen den Reiz einer solchen Veranstaltung aus, zumindest empfinde ich es so. Große Theoretiker sind fast immer in gewisser Weise auch Performer. Selbst Fotos können kein vollständiges Bild der jeweiligen
Person vermitteln. Hat man erst einmal einen persönlichen Eindruck von einem Autor gewonnen, wird eine erneute Lektüre seiner Werke vor diesem Hintergrund zu einer völlig anderen Erfahrung. So war es höchst interessant, Lazzarato mit seiner spiegelnden Glatze und seinem markanten Schnauzbart zu beobachten oder Revels selbstsicheres Auftreten und ihre Energie zu bewundern. Sehenswert war des Weiteren Bifos Frisur – eine Mischung aus Andy Warhol und Jacques Derrida – sowie seine Eigenart, beim Gehen scheinbar einen Zentimeter über dem Boden zu schweben. Negri wiederum hatte mit der Aussprache langer englischer Wörter zu kämpfen und schien deswegen peinlich berührt, was ihn schüchtern und fast jungenhaft wirken ließ.
Ich hatte zuvor kein wirkliches Bild dieser Menschen vor Augen gehabt, muss aber sagen, dass ich am Ende des Symposiums merkwürdigerweise plötzlich deutlich mehr Respekt für sie als Personen empfand. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass man sich jemanden, von dem man nur weiß, dass er hochkomplizierte Texte verfasst hat, die in gewissen Kreisen nahezu mystisch verehrt werden, zwangsläufig als ziemlich arrogante Person vorstellt. Es kann sich ja nur um einen aufgeblasenen Wichtigtuer handeln, der sich selbst vermutlich für eine Art Rockstar hält, da er – wenn auch nur innerhalb eines sehr engen Kreises – wie ein solcher behandelt wird. Wie eng dieser Kreis tatsächlich häufig ist, in dem derartige Personen als Berühmtheiten gelten, wird einem auf solchen Veranstaltungen jedoch schnell wieder bewusst. Natürlich fühlten sich die Vortragenden im Rampenlicht wohl; ansonsten wiesen ihre jeweiligen Lebensumstände jedoch definitiv keinerlei Parallelen zu denen eines Rockstars auf. In Wirklichkeit kamen sie eher bescheiden daher. Die meisten hatten für ihr radikales Engagement einen hohen Preis bezahlt, etliche tun das bis
heute: Freilich ist Negri inzwischen aus dem Gefängnis entlassen und lebt recht gut von staatlicher Altersversorgung. Bifo hingegen ist als Lehrer an einer weiterführenden Schule tätig (wenn auch an einer Nobelschule), und Lazzarato wird unter der gefürchteten Rubrik »Privatgelehrter« geführt. Es ist erschreckend zu sehen, dass Akademiker von solch ausgewiesener Relevanz im Bereich der Theoriebildung eine derart geringe institutionelle Anerkennung erfahren. Doch natürlich (und wer wüsste das besser als ich) besteht zwischen beidem kaum ein Zusammenhang – vor allem dann nicht, wenn auch noch Politik im Spiel ist.
(Höchstwahrscheinlich haben sie für die Teilnahme an diesem Symposium noch nicht einmal riesige Summen kassiert: 500 Eintrittskarten à 20
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