Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
£ hört sich zunächst nach einer Menge Geld an. Wenn man allerdings die Ausgaben für die Räumlichkeiten sowie die Hotel- und Reisekosten abzieht, ergibt der Restbetrag, durch vier geteilt, ein ausgesprochen bescheidenes Vortragshonorar.)
Insgesamt umgab die vier fast etwas Wehmütiges. Sie schienen allesamt zurückhaltende, liebenswerte Leute zu sein, die sich verwundert am Kopf kratzten, weil sie sich vor zwanzig Jahren niemals hätten vorstellen können, einmal an einem solchen Ort zu landen. Damals hatten sie noch Seite an Seite mit aufständischen Hausbesetzern gekämpft und Piratensender betrieben, nun füllten sie den Vortragssaal eines drögen britischen Museums mit Philosophiestudenten, die es kaum erwarten konnten, deren Meinungen über Kunst zu hören. Der wehmütige Eindruck wurde noch verstärkt durch den allgemeinen Tenor der Diskussionen an diesem Nachmittag. Die Debatte hatte mit den gesellschaftlichen Möglichkeiten von Kunst zunächst verhalten optimistisch begonnen, war dann aber in der zweiten Hälfte gekippt.
Und das geschah so:
Maurizio Lazzarato
trug seinen Beitrag »Art, Work and Politics in Disciplinary Societies and Societies of Security« [»Kunst, Arbeit und Politik in Disziplinar- und Sicherheitsgesellschaften«] vor. Darin sprach er über Duchamp und über Kafkas Erzählung »Josephine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse«. Ausgehend hiervon erläuterte er, in welcher Weise sich die Beziehung zwischen »Kunst, Arbeit und Politik« im Übergang von Foucaults »Disziplinargesellschaft« zur »Sicherheitsgesellschaft«, einem ebenfalls von Foucault geprägten Begriff, gewandelt habe. Die Readymades von Duchamp böten ihm zufolge eine Art Modell einer neuen Handlungsform, die zwischen dem, was wir als Produktion und dem, was wir als Handhabung ansehen, angesiedelt sei. Im Prinzip handle es sich bei den Readymades um ein antidialektisches Modell für zukünftige Formen immaterieller Arbeit, die ein ebensolches Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Spiel, Kunst und Leben nach sich zögen, wie es die Avantgarde gefordert hatte. Diese neue Handlungsform setzt ein in den Freiheitsräumen, die die »Sicherheitsgesellschaften« wohl oder übel zulassen müssen und die sich jede revolutionäre Kapitalismuskritik zu eigen machen sollte.
Judith Revel
stellte ein Papier mit dem Titel »The Material of the Immaterial: Against the Return of Idealisms and New Vitalisms« [»Materielle Aspekte des Immateriellen: Wider eine Rückkehr der Idealismen und neuen Vitalismen«] vor. In ihrem Beitrag erklärte sie, dass viele zwar zustimmen würden, dass wir inzwischen unter einem Regime der reellen Subsumtion
unter das Kapital leben, jedoch keinem vollständig bewusst zu sein scheint, was das letztlich bedeute: nämlich, dass es kein Außerhalb gebe. Dies gelte auch für diejenigen Theoretiker, die eine Art von autonomer Lebenskraft postulieren, wie beispielsweise Agamben und dessen »nacktes Leben«. Derartige Ideen sollten verworfen werden; Gleiches gilt laut Revel für die beharrliche Behauptung von Deleuze, das Begehren als Lebensenergie als den Zwängen der Macht vorgängig zu sehen. Der gegenwärtige Augenblick kann vielmehr ausschließlich mithilfe von Foucault verstanden werden, insbesondere durch sein Konzept der ethischen Selbststilisierung. Des Weiteren können wir dadurch erkennen, dass Kunst keine Serie von Gegenständen ist, sondern eine Form der kritischen Praxis, die dazu dient, Brüche in bestehenden Machtregimes zu erzeugen. Daran schloss sich eine lebhafte Diskussion an, in der Agamben mit Freuden für tot erklärt wurde; lediglich die Deleuzianer wehrten sich erbittert. Aus dieser Debatte ging kein klarer Sieger hervor.
Bifo
präsentierte seinen Beitrag »Conjunction/Connection« [»Vereinigung/Verbindung«]. Zunächst ging er darin auf Marinetti und den Futurismus ein. Das 20. Jahrhundert sei das »Jahrhundert der Zukunft« gewesen. Damit sei es nun allerdings vorbei. Im gegenwärtigen Augenblick, der nicht länger von Vereinigung beziehungsweise Verschmelzung, sondern von Verbindung im Sinne einer Vernetzung geprägt sei, gebe es keine Zukunft mehr. Der Cyberspace ist laut Bifo unendlich, die Cyberzeit jedoch definitiv nicht. Die Prekarität von Arbeit bringe es mit sich, dass das Leben pathologisiert werde. Wo Lenin einst zwischen depressiven Zusammenbrüchen und entschlossenem historischem
Handeln schwanken konnte, sei heutzutage kein derartiges Handeln mehr
Weitere Kostenlose Bücher