Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
die Wichtigkeit der von Frauen ausgeführten Arbeit dadurch zu leugnen, dass man sie in das Reich der Natur verbannt. Der Vorgang des Sorgens für, der Erziehung, des Großziehens und allgemein des Formens von Menschen wird auf die implizit biologische Sphäre der »Reproduktion« reduziert, welche dann genau aus diesem Grund als zweitrangig angesehen wird. Statt neue theoretische Entwicklungen heranzuziehen, um diese Spaltung zu problematisieren, wird lieber unüberlegt verkündet, die biologische Reproduktion habe die Wände des häuslichen und privaten Bereichs durchschlagen und würde nun, mithilfe des Staates, sämtliche
Lebensbereiche durchdringen. Genau wie auch die Herstellung von Waren die Fabrikmauern durchbrochen habe und nun jeden Aspekt unseres Daseins erfülle. Das Ergebnis hiervon ist eine Art Holzhammermethode, die es einmal mehr praktisch unmöglich macht, unsere ursprünglichen theoretischen Annahmen zu hinterfragen.
Die Kunstwelt als Form der Politik
Diese Weigerung, altmodische theoretische Ansätze kritisch zu hinterfragen, wirkt sich spürbar auf die resultierende Analyse aus. Betrachten wir im Folgenden noch einmal Negris Beitrag zu dieser Tagung. Zunächst erörterte er die These, dass seit den 1840er Jahren jede Veränderung in der Entwicklung der Produktivkräfte mit einem Wandel in der vorherrschenden Stilrichtung der hohen Kunst einhergehe. Der Realismus des Zeitraums von 1848 bis 1870 entspricht ihm zufolge einer Phase der Konzentration von Industrie und Arbeiterklasse. Der Impressionismus zwischen 1871 und 1914 wiederum fällt mit dem Zeitalter des »professionellen Arbeiters« zusammen, als die Welt als etwas gesehen wird, das aufgelöst und neu zusammengesetzt werden muss. Das Aufkommen der abstrakten Kunst nach 1917 hingegen spiegele die neue Abstraktion der Arbeit wider, die durch die Einführung der wissenschaftlichen Unternehmensführung erreicht werde, und so weiter. Die Veränderungen der materiellen Infrastruktur – der Industrie – würden folglich auch im ideologischen Überbau sichtbar. Zweifellos ist die daraus hervorgehende Analyse erhellend und sogar unterhaltsam (wenn man an derartigen Spielereien Spaß hat). Gleichzeitig lenkt sie jedoch von der offensichtlichen Tatsache ab, dass die Produktion von Kunst ebenfalls eine Industrie ist und mit den Bereichen Kapital,
Marketing und Design in vielerlei (und historisch variierender) Hinsicht in Zusammenhang steht. Indem man jedoch die Kunst im Bereich des Immateriellen verortet, muss man sich gar nicht erst mit ihren materiellen Aspekten oder gar ihrer Verstrickung in andere abstrakte Sachverhalte (wie beispielsweise Geld) auseinandersetzen. Man braucht also nicht zu fragen, wer die Kunstwerke kauft, wer die entsprechenden Institutionen finanziert, wo Künstler wohnen oder wo ihre künstlerischen Techniken ansonsten eingesetzt werden.
Auch wenn dies vermutlich nicht der richtige Ort für langwierige Analysen ist, sind ein paar Anmerkungen über die so genannte »Kunstszene« an dieser Stelle sicherlich angebracht. Die Auffassung, dass die Kunstwelt sich zumindest seit den 1920er Jahren in einer Art permanenten institutionalisierten Krise befindet, ist weit verbreitet (und auch nicht ganz unrichtig). Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass das, was wir »die Kunstszene« nennen, inzwischen nur noch die permanente Bewältigung dieser Krise darstellt. Die Krise dreht sich selbstverständlich um das Wesen der Kunst. Der gesamte zur Kunstwelt gehörende Apparat – also Kritiker, Fachzeitschriften, Kuratoren, Galeriebesitzer, Kunsthändler und Hochglanzmagazine samt der entsprechenden Leute, die in gentrifizierten Stadtvierteln in zu schicken Cafés umgewandelten Fabrikgebäuden sitzen, darin blättern und sich darüber unterhalten … – existiert folglich nur, um eine Antwort auf eine einzige Frage zu finden: Was ist Kunst? Oder genauer gesagt, um eine Antwort zu finden, die hinausgeht über die auf der Hand liegende Antwort »Kunst ist all das, was wir sehr reichen Leuten andrehen können«.
Ich möchte hier wirklich nicht zynisch sein. In Wirklichkeit lässt sich das Dilemma vermutlich bis zu einem gewissen Grade direkt auf das Wesen der Politik zurückführen. Wenn
durch den plötzlichen Ausbruch der Avantgardekunst eins erreicht wurde, dann, dass die Grenzen zwischen Kunst und Politik verwischten und deutlich wurde, dass Kunst schon immer im Grunde eine Form von Politik war. (Oder zumindest war dies stets
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