Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
werden, das in Bahrain, Tokio und Zürich investiert wurde. Diese Investitionen beruhen indes auf Berechnungen von Schulden und Zinsen sowie Prognosen für künftige Nachfrage und künftige Marktschwankungen. Das eingesetzte Kapital wiederum wurde in eine Vielzahl von Derivaten – Termingeschäfte, Optionen, Swaps und so weiter – gebündelt, gehandelt, in Arbitragegeschäften weiterverkauft und dann noch einmal auf noch höheren mathematischen Abstraktionsebenen gebündelt, bis es schlicht undenkbar geworden ist, in diesem Kontext noch einen Zusammenhang mit einem realen Produkt, einer Ware oder einer Dienstleistung herzustellen. Nichtsdestoweniger umgeben sich die gleichen Bankiers gerne mit Künstlern und damit einem Menschenschlag, der andauernd Dinge erschafft – eine Art imaginäres Proletariat, das das Finanzkapital um sich
schart und das aus zumeist äußerst preiswerten Materialien Unikate herstellt, die die Bankiers dann mithilfe ihres Geldes taufen und weihen und dadurch zur Kunst erheben. Dieser Vorgang demonstriert einmal mehr, dass Geld in der Lage ist, die minderwertigsten Materialien in Objekte zu verwandeln, die weitaus mehr wert sind als Gold.
Es ist jedoch in diesem Zusammenhang nie ganz klar, wer hier wen übers Ohr haut. 19 Alle Beteiligten – ob Künstler, Kunsthändler, Kritiker und Sammler – bekennen sich nach wie vor scheinheilig zu der alten, aus dem Zeitalter der Romantik im 19. Jahrhundert stammenden Vorstellung, dass sich der Wert eines Kunstwerks direkt der unverwechselbaren Genialität eines einzelnen Künstlers verdankt. Aber im Grunde glaubt niemand wirklich daran, dass es allein oder wenigstens vorrangig darum geht. Viele Künstler stehen dem, was sie tun, zutiefst zynisch gegenüber. Und selbst Idealisten haben erst dann das Gefühl, etwas zustande gebracht zu haben, wenn es ihnen gelingt, künstlerische Enklaven, egal wie klein diese auch sein mögen, zu schaffen, in denen sie mit alternativen Formen des Lebens, des Austauschs und der Produktion experimentieren können. Diese sind entweder durch und durch kommunistisch (was häufig der Fall ist), soweit dies eben in einer Großstadt verwirklicht werden kann, oder unterscheiden sich zumindest sehr deutlich von jenen Formen, die das Kapital propagiert. Ein wirkliches Erfolgserlebnis stellt sich jedoch erst dann ein, wenn es ihnen gelingt, sich diese Enklaven direkt oder auch indirekt von Kapitalisten finanzieren zu lassen. Kritiker und Kunsthändler wiederum sind sich bewusst, dass der
Wert eines Kunstwerks bis zu einem gewissen Grad ihr eigenes Werk ist, auch wenn ihnen etwas unwohl dabei ist. Sammlern hingegen scheint es kaum etwas auszumachen, dass es letzten Endes ihr Geld ist, das ein Objekt zu einem Kunstwerk macht. Jeder ist bereit, seine Spielchen mit diesem Dilemma zu treiben oder es in das Wesen der Kunst selbst einzuarbeiten. So stellte beispielsweise einmal ein befreundeter Bildhauer eine Skulptur her, die lediglich aus den Worten »I NEED MONEY« (»ICH BRAUCHE GELD«) bestand. Er wollte sie an irgendeinen Sammler verkaufen, um damit die Miete bezahlen zu können. Sie wurde ihm praktisch aus den Händen gerissen. Sind die Sammler, die bei so etwas zuschlagen, schlicht Trottel oder macht es ihnen einfach Spaß, Marcel Duchamp zu spielen? 20
Seinen bekannten »Brunnen«, ein handelsübliches Urinal, das er gekauft und versucht hatte, in einer Ausstellung unterzubringen, rechtfertigte Marcel Duchamp ja immerhin auch damit, dass er das Objekt zwar nicht geschaffen oder bearbeitet, es jedoch »ausgewählt« und dadurch konzeptionell verändert habe. Vermutlich ist ihm die gesamte Tragweite seines Handelns erst später bewusst geworden. Dies würde zumindest erklären, warum er irgendwann aufhörte, Kunst zu schaffen, und die letzten vierzig Jahre seines Lebens nur noch mit Schachspielen zubrachte. Das Schachspielen sei, so betonte er gelegentlich, eine der wenigen Aktivitäten, die sich unmöglich zu einer Ware verarbeiten ließen.
Womöglich liegt das Problem sogar noch tiefer. Vielleicht entsteht ein solches Dilemma zwangsläufig, wenn sich zwei völlig unvereinbare Wertsysteme gegenüberstehen. Die ursprüngliche, romantische Vorstellung des Künstlers – und damit auch der Kunstbegriff im modernen Sinn – kam etwa zur Zeit der industriellen Revolution auf. Dies war wahrscheinlich kein Zufall. Wie Godbout und Caillé aufgezeigt haben, besteht hier eine gewisse Komplementarität. Der Industrialismus war
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