Kampf der Gefuehle
kommende Geste betrachtet. Die Dankbarkeit von Ariadnes Pflegeeltern hatte keine Grenzen gekannt. Dass sie sich in einer bestimmten Summe Geldes ausdrückte, die Ariadnes Eltern über die Runden half, nachdem die Zuckerrohrernte schlecht ausgefallen war, war von nebensächlicher Bedeutung.
Doch wie bei Adoptionen so oft der Fall, wurde die Frau, deren Schoß bisher unfruchtbar gewesen war, schwanger und brachte ein Jahr später einen prächtigen Jungen zur Welt, der auf den Namen Francis getauft wurde. Ariadne war von dem Baby entzückt gewesen, hatte es als persönliches Spielzeug und kleinen Bruder betrachtet, den sie heiß und innig liebte. Sie hätten nicht unzertrennlicher sein können, wenn sie blutsverwandt gewesen wären. In der Tat waren sie stets zusammen — bis zu dem Zeitpunkt, da Francis beschloss, nach New Orleans zu gehen, um Aufnahme in den dortigen literarischen Kreisen zu finden.
Schon geraume Zeit vorher hatte das enge freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Müttern eine Trübung erfahren. Nachdem die Zuckerrohrplantage von Ariadnes leiblichen Eltern trotz des Darlehens bankrott gegangen war, zogen sie weg und ließen sich weiter flussaufwärts nieder. Ariadnes Vater war gestorben, ihre Mutter hatte von neuem geheiratet, einen gewissen Monsieur Arpege. Umgeben von ihren Töchtern, zu der in der zweiten Ehe noch zwei hinzukamen, schien sie das Kind, das sie weggegeben hatte, vergessen zu haben. Jahre vergingen. Die Heirat mit Jean Marc wurde arrangiert. Francis wurde in einem Duell getötet. Ariadne hatte ihre Mutter so lange nicht gesehen, dass sie fast ihr Gesicht vergessen hatte.
Warum war ihre Mutter ohne Vorankündigung und in aller Öffentlichkeit bei ihr erschienen? Hatte sie befürchtet, andernfalls eine Abfuhr zu erhalten? Und warum musste ausgerechnet der Engländer Augenzeuge der Begegnung sein? Das hatte zwangsläufig dazu geführt, dass Ariadne sich schroff und abweisend verhielt.
Was wollte die Frau von ihr? Erwartete sie, gleichsam als sei nichts geschehen, da weitermachen zu können, wo sie vor all den Jahren aufgehört hatte? Oder hatte sie zufällig gehört, dass ihre Tochter jetzt alleinstehend und eine reiche Frau war?
Ariadne presste die Lippen fest aufeinander und schüttelte den Kopf. Solche Gedanken gefielen ihr nicht, denn so hart und zynisch war sie in Wirklichkeit nicht. Gleichwohl stand fest, dass das Verhalten der meisten Menschen vorwiegend von ihrem Eigeninteresse gelenkt wurde.
Ihre Mutter würde sie in Maurelles Stadthaus aufsuchen. Diesen Vorschlag hatte Ariadne gemacht, nachdem sie halbwegs ihre Fassung wiedererlangt hatte. In zwei Tagen würden sie unter vier Augen miteinander sprechen, da ihre Mutter morgen damit beschäftigt sein würde, ihren Mann und eine ihrer Töchter in Empfang zu nehmen, die mit dem Schiff nach New Orleans kommen wollten. Was danach geschehen würde, entzog sich Ariadnes Kenntnis. Das hing zum großen Teil von dem goldhaarigen Mann ab, der sie im Moment so scharf beobachtete.
Ein Schauder überlief sie mit einer Heftigkeit, dass es ihr den Atem benahm. Sie zog ihre Kaschmirstola fester um sich.
»Fühlst du dich nicht wohl, ma chere ? Du wirst doch keine Grippe bekommen?«
Ariadne, der die Besorgnis in Maurelles schönen braunen Augen wohltat, brachte ein Lächeln zustande. »Nein, nein. Das hat nichts zu besagen. Mir ist nur aus unerfindlichen Gründen eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen.«
Hinter sich hörte sie das Rascheln von Stoff, da die hinter Maurelles Stuhl stehenden Gentlemen die Positionen wechselten. Kurz darauf berührte jemand ihre Schulter, und Sascha beugte sich über sie. »Ich wage zu behaupten, dass diese Gänsehaut auf Ihren Fechtmeister zurückzuführen ist«, sagte er ihr mit gedämpfter Stimme ins Ohr. »Stimmt's?«
Sie drehte sich ein wenig zurück. »Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
»Spielen Sie ruhig gegenüber Ihren Freunden aus der Provinz die Unschuld, wenn Sie es für nötig halten, aber wir beide, Sie und ich, wir kommen aus der großen Welt. Diese Angelegenheit mit dem Engländer entwickelt sich wirklich höchst bedenklich. Inzwischen ist er ja schon so dreist, dass er es wagt, Sie in aller Offenheit im Theater zu grüßen. Das ist gefährlich, nicht nur für Ihre schöne Haut, sondern auch für Ihren Ruf. Es wäre wesentlich klüger von Ihnen gewesen, sich an mich zu wenden.«
»Um eine weitere Ihrer Eroberungen zu werden? Nein, danke.«
»In Ihrem Fall würde
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