Kampf der Gefuehle
entlehnt.«
»Und welcher?« Rio sah seinen Schwager mit einiger Skepsis an.
»Nun, den erhabenen Janitscharen des türkischen Sultans!«
Caid gab ein Stöhnen von sich. »Das hätten wir uns denken können.«
Denys grinste ihn an und verbeugte sich vor ihm. »Ich kann dir versichern, dass ich mich mit allen Kräften für eine gemäßigtere Uniform einsetzen werde.«
Dann wandten sie sich anderen Dingen zu und sprachen unter anderem von der Umbildung des britischen Parlaments, die im Herbst stattgefunden und Sir Robert Peel an die Macht gebracht hatte, sowie von den gegenwärtigen Auseinandersetzungen in Indien, bei denen britische Truppen gegen eine enorme, von Lal Singh angeführte Streitmacht von Sikhs kämpften. Gavin setzte an zu erklären, was in seinem Heimatland vor sich ging, hatte aber nichts dagegen, dass Rio ein anderes Thema anschnitt.
»Gestern habe ich den russischen Freund von Madame Faucher in der Passage gesehen. Er hat nach dir gefragt.«
Gavin blickte seinen Freund unverwandt an. Die Warnung, die er in dessen Augen sah, ließ ihn aufmerken. »Tatsächlich?«
»Da es nicht der Tag war, an dem du Schüler empfängst, hat er sich mit einem Kampf in Rosieres Studio begnügt. Seine Kraft war formidabel.«
»Und seine Technik?«
»Angemessen. Sie könnte gefährlicher sein, wenn er sich weniger auf seine Kraft und auf Routinebewegungen verließe. Zumindest war das mein Eindruck. Wen man ihm im Kampf gegenüberstünde, würde man vielleicht zu einem anderen Schluss kommen.«
Gavin gab sehr viel auf Rios Meinung. Er war einer der großen Fechtmeister der Passage gewesen und war nach wie vor ein Kämpfer, in dessen Gegenwart andere vorsichtig auftraten. Gavin machte sich im Geiste eine Notiz.
Er hatte nicht vor, dem Russen mit dem Degen in der Hand entgegenzutreten. Doch das Leben eines Fechtmeisters war immer ungewiss und konnte rasch in gefährliche Bahnen geraten. Deshalb war es besser, vorbereitet zu sein.
Zehntes Kapitel
Wie gelähmt saß Ariadne auf ihrem Stuhl. Sie wusste kaum, wo sie hinsehen sollte, und brachte kein Wort heraus. Dass Maurelle ihr schäkerndes Geplauder mit den in der Loge befindlichen Gentlemen fortsetzte, erfüllte sie mit Dankbarkeit, da sie auf diese Weise die Möglichkeit hatte, sich innerlich zu sammeln.
Ihre Mutter.
Die Frau, die vorhin in der Loge gewesen war, war ihre Mutter. Nicht ihre Pflegemutter, die sie sich angewöhnt hatte, als Mutter zu betrachten, und die seit über drei Jahren tot war, sondern die Frau, die sie geboren hatte.
Wer hätte ahnen können, dass sie nach all dieser Zeit wieder auftauchen würde?
Ariadne atmete tief durch und versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie war wohl nicht sonderlich höflich gewesen. Weil sie schockiert gewesen war und kein Risiko hatte eingehen wollen. Dem Engländer in der gegenüberliegenden Loge war nichts von der Begegnung entgangen, das wusste sie. Was, wenn er erfuhr, was es damit auf sich hatte? Dann würde er nicht lange brauchen, um ihre wahre Identität herauszufinden und hinter ihren Plan zu kommen.
Ihre Mutter.
Die Frau, die sie gerade gesehen hatte, war diejenige,
die sie als zweijähriges Kind weggegeben hatte, die sie, obwohl sie sich schreiend an sie geklammert hatte, in die ausgestreckten Arme von Josephine und Etienne Dorelle geschoben hatte, von denen sie adoptiert worden war. Als Ariadne ihr eben ins Gesicht geblickt hatte, hatte sie Kummer und Wut empfunden, aber auch ein sehnsüchtiges Verlangen, das so stark war, dass es sie nach wie vor aufwühlte.
Dass sie zu Letzterem in der Lage war — zumal in einem solchen Maße —, hatte sie nicht gewusst. Wie kam das? Sie hatte ihre Pflegeeltern doch angebetet, war mit ihnen zufrieden gewesen und hatte stets danach gestrebt, es ihnen recht zu machen.
Oh, sie kannte die ganze Geschichte. Nichts davon war ihr vorenthalten worden, und sonderlich ungewöhnlich war die Sache ebenfalls nicht. Ihre Mutter hatte unmittelbar nach dem Besuch der Klosterschule geheiratet und war zur pflichtbewussten Ehefrau geworden, die ihrem Mann innerhalb von fünfzehn Jahren elf Kinder geschenkt hatte, alles Mädchen. Josephine Dorelle, eine entfernte Cousine ihrer Mutter, mit der sie seit ihrer Kindheit befreundet war, hatte im selben Jahr wie diese geheiratet, war jedoch kinderlos geblieben. Dass eine so mit Nachwuchs gesegnete Frau einen ihrer Sprösslinge an eine Frau abgab, die auf dieses Glück verzichten musste, wurde als großzügige, von Herzen
Weitere Kostenlose Bücher