Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)
Staat, seit Jahren klamm und hoch überschuldet, versteht es, finanzielle Belastungen auf den Stromkunden abzuwälzen: Der Strompreis besteht zu einem nicht unerheblichen Teil aus Steuern. Auf jeden einzelnen Posten in der Stromrechnung, von den Netzentgelten bis zur EEG -Umlage, fällt jeweils eigens die Mehrwertsteuer an. Und zwar nicht der ermäßigte Satz von 7 Prozent, der für alle Waren des täglichen Bedarfs (!) gilt, sondern volle 19 Prozent. Während der Staat also ach so verzweifelt nach einer Möglichkeit sucht, den Strom für den Kunden wieder billiger zu machen, verschweigt er, wie viel er selbst an jeder Preiserhöhung verdient. Die Politik hätte mit diesen Steuereinnahmen durchaus die Mittel, an der Strompreisschraube zu drehen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem EEG und früheren Stromsubventionen besteht darin, dass der Staat sich zunehmend vor finanziellen Belastungen drückt – das war damals, als man die ersten Atomkraftwerke baute, noch anders. In den Ausbau der Atomenergie flossen staatliche Mittel, für den grünen Strom zahlt der Stromkunde. Auch für die Subventionierung der Steinkohle griff der Staat in seine eigene Kasse, aber für die Privilegierung von Industriebetrieben greift er in das Portemonnaie der Stromkunden.
Häufig flankieren wissenschaftliche Kommissionen und Beiräte politische Entscheidungen. Die Monopolkommission, ein Gremium, das die Regierung regelmäßig in Fragen von Wettbewerb und Marktregulierung berät, ist auf die Kosten-Tsunami-Welle aufgesprungen und warnt vor der Energiewende. So etwa in der FAZ vom 4. Juni 2012: »Die Stromkosten steigen, die Versorgung wird unsicherer, Wettbewerb auf dem Strommarkt findet praktisch nicht mehr statt. Die deutsche Monopolkommission warnt in einem Gespräch mit der FAZ vor einem ›Kosten-Tsunami‹ und fordert ein Umsteuern.« Ähnliches hört man vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den sogenannten fünf Wirtschaftsweisen. Als dieser aufgefordert war, sich zur Energiepolitik zu äußern, rief eines seiner Mitglieder bei mir an und gestand mir seinen Eindruck, keiner der anwesenden »Weisen« kenne sich in der Energiewirtschaft detailliert aus. Man habe viel theoretisches Wissen, aber wenig Informationen darüber, was in der Praxis eigentlich vor sich geht. »Ich rufe Sie an, weil ich wenigstens einmal hören wollte, was Sie als Fachfrau zu diesem Thema zu sagen haben.« Zu den »fünf Weisen« gehört übrigens auch Prof. Dr. Christoph M. Schmidt. Er ist Präsident des RWI und damit einer der Erfinder des Kosten-Tsunamis.
7. Die Energiewende führt zu einer Deindustrialisierung in Deutschland
Es ist schon ein Witz: Seit Jahren trete ich in Vorträgen, Interviews und Diskussionsrunden der Befürchtung entgegen, die Energiewende führe zu einer Deindustrialisierung. Mit dieser Mär wird eine weitere vermeintliche Gefahr für Deutschland heraufbeschworen: Hohe Energiekosten trieben die Industrieproduktion ins Ausland, die Folgen seien der Verlust von Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätzen und Wohlstand.
Gerade als ich mich daranmache, das vorliegende Kapitel zu schreiben, erscheint am 21. Oktober 2012 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Artikel mit der Botschaft: Deutschland erlebt eine Reindustrialisierung! Nun stellt sich heraus, dass, anders als in nahezu allen europäischen Ländern, die Industrie hierzulande in den letzten Jahren nicht zurückging, sondern stagnierte und vor kurzem sogar wieder einen Wachstumsschub erlebte. Durch den Erhalt seiner Industrie steht Deutschland mit einem Anteil von 23 Prozent wesentlich besser da als andere EU -Länder (wie etwa Spanien mit 13 oder Italien mit 16 Prozent oder gar Frankreich und England mit nur 10 Prozent, die stark auf den Dienstleistungssektor gesetzt haben). Die Frage, ob wir eine Deindustrialisierung fürchten müssen, ist damit beinahe schon beantwortet.
Der internationale Vergleich von 45 Ländern, auf den der Artikel in der FAS Bezug nimmt, sieht Deutschland unter den industriestärksten Nationen auf Rang fünf. Ein positiv hervorzuhebender Grund für diese gute Position sei, so die vom Bundeswirtschaftsministerium vorgestellte Studie, unter anderem eine stabile Energieversorgung. Zu den Negativposten zählten indessen die hohen Arbeitskosten in Deutschland. Wasser auf meine Mühlen! Wie oft habe ich in der Vergangenheit erklärt, dass Firmen sämtlichen Statistiken zufolge nicht wegen der Energie,
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