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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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es für mich neu, allein und unbeaufsichtigt zu sein, andererseits wirkte das wenige, was da war, gerade deshalb besonders eindrucksvoll auf mich, und ich beschloss, gegen das Gefühl der Verlorenheit und die finsteren Gedanken anzukämpfen, indem ich alles erkundete und recherchierte, so als müsste ich für das Buch der Welt darüber schreiben. Abgesehen davon gab es auch nichts anderes zu tun – das ist der tiefe Kern der einsamen Präriestädtchen –, und diese Forscherrolle schenkte mir eine kleine, ungekannte Freiheit, schließlich hatte ich bislang nur mit meiner Familie zusammengelebt. Im Übrigen, ein Grund mehr, war ich in Kanada und wusste darüber noch gar nichts – die Unterschiede zu Amerika und die Gemeinsamkeiten. Das alles wollte ich erkunden.
    In meiner neuen Latzhose und den gebrauchten Thom-McAn-Schuhen ging ich über den harten Asphalt der Main Street und hatte das Gefühl, keiner sähe mich. Ich wusste nicht, wer in Fort Royal wohnte, warum die Stadt existierte oder überhaupt irgendwer dort leben wollte, nicht einmal, warum es Fort Royal hieß – außer vielleicht, weil es in Pioniertagen ein Außenposten der Armee gewesen war. Auf beiden Seiten der Main Street, des Highways, lagen Geschäfte, insgesamt in meinen Augen gerade genug, um eine Stadt auszumachen. Jeden Tag fuhren Getreidelaster und Trucks und Traktoren von den Farmen mitten durch den Ort. Es gab einen Barbier, eine chinesische Wäscherei mit angeschlossenem Café, eine Billardkneipe, ein Postamt, in dem ein Bild von der Queen an der Wand hing, eine Gemeindehalle, zwei kleine Arztpraxen, ein Clubhaus der Sons of Norway, einen Woolworth, einen Drugstore, ein Kino, sechs Kirchen (darunter eine katholische, eine der Herrnhuter und eine der Bethel-Lutheraner), eine geschlossene Bibliothek, ein Schlachthaus und eine Esso-Tankstelle. Außerdem den Genossenschaftsladen, wo mir Charley die Hose, Unterwäsche, Schuhe und einen Mantel gekauft hatte. Dann noch die Royal Bank, eine Feuerwehr, einen Juwelier, eine Reparaturwerkstatt für Traktoren und ein kleineres Hotel, das Queen of Snows , inklusive Bar mit Alkohollizenz. Eine Schule gab es nicht mehr, aber das Gebäude stand noch – eckig und weiß prangte es hinter einer kleinen baumlosen Grünanlage, die mit einem Kriegerdenkmal mit eingemeißelten Soldatennamen, Fahnenmast und Fahne möbliert war. In zehn säuberlich abgezirkelten, nicht asphaltierten Straßen standen bescheidene weiße Häuser, dort wohnte die Stadtbevölkerung. Vor jedem Haus befanden sich ein ordentlicher Rasen, oft mit einem einzelnen Nadelbaum darin, und ein Stück Garten, wo die letzten Petunien in eingefassten Beeten blühten, manchmal eine britische Fahne an einem Mast, umgeben von weißbemalten Steinen, später sah ich auch katholische Weihnachtskrippen, die ich aus Montana kannte. Und schließlich gab es ein eingezäuntes Baseballfeld, eine Eislaufbahn für Eisstockschießen und Eishockey im Winter, einen überwucherten Tennisplatz ohne Netz und einen Friedhof, im Süden, wo die Stadt aufhörte und in die Felder überging.
    Auf meinen Erkundungstouren betrachtete ich aufmerksam das Schaufenster des Juweliers – die Bulovas und Longines und Elgins und die kleinen Verlobungsringe mit Diamant und die Armbänder und Silberbestecke und Hörgeräte und Tabletts voller leuchtender Ohrringe. Ich betrat den dunklen Drugstore und kaufte mir einen kleinen Wecker, manchmal musste ich früh raus, und atmete die Düfte der Damenparfüms und der süßen Seife ein, den Geruch des Wassers aus dem metallenen Trinkbrunnen und die Schärfe der Chemikalien aus den Lagerräumen und von der Kundentheke. An einem Nachmittag sah ich mir beim Chevrolethändler das neuste Modell an, das sie hatten – einen leuchtendroten Impala mit Hardtop, den mein Vater großartig gefunden hätte. Ich saß eine Zeitlang hinter dem Steuer und stellte mir vor, über die offene Prärie zu rasen, genau wie damals, als er einen neuen DeSoto zu Hause vor die Tür gestellt hatte, damals, als das Leben für Berner und mich noch ereignislos verlief. Ein Verkäufer mit gelber Fliege kam herüber und stellte sich neben die Wagentür. Er teilte mir mit, wenn ich wolle, könne ich den Chevy mitnehmen, dann lachte er und fragte, wo ich herkomme. Ich sagte ihm, ich sei Amerikaner, besuche meinen Onkel im Leonard und daheim in »den Staaten« (den Ausdruck hatte ich frisch gelernt) verkaufe mein Vater Autos. Das ließ das Interesse des Verkäufers wohl erlahmen,

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