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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Arthur Remlinger«, sagte ich. »Ihm gehört das Leonard.«
    Die Frau runzelte die Stirn und sah bekümmert drein. Ihre Haltung wurde steif, als wäre ich plötzlich jemand anders, nur durch den Klang von Arthur Remlingers Namen. »Wird er dich nach Leader auf die Schule schicken?«, fragte sie, als sei das ein Grund zur Sorge.
    »Nein«, sagte ich. »Ich wohne in Montana bei meinen Eltern. Ich fahre bald wieder nach Hause. Da gehe ich auch zur Schule.« Es war ein gutes Gefühl, das sagen zu können, als wäre irgendetwas davon noch wahr.
    »Wir waren mal auf dem Jahrmarkt in Great Falls«, sagte sie. »Das war schön, aber sehr … belebt.« Sie lächelte breiter und legte einen Arm um die Schulter ihrer Tochter, was auch diese zum Lächeln brachte. »Wir sind HLT. Falls du mal teilnehmen möchtest.«
    »Danke schön«, sagte ich. Ich wusste, dass HLT für Heilige der Letzten Tage stand, also Mormonen, weil mein Vater das mal erwähnt hatte und Rudy auch – die würden mit Engeln reden und könnten Schwarze nicht leiden. Ich erwartete, dass die Frau noch etwas zu mir sagen würde oder weiter nach mir fragen. Aber sie tat es nicht. Die beiden gingen einfach die Straße hinunter und ließen mich vor dem Drugstore stehen.
    Wenn ich nachmittags nicht in Fort Royal blieb und meine Erkundungen vorantrieb oder mich anders beschäftigte, fuhr ich auf dem Higgins zurück nach Partreau, eine kleine Lunchbox mit kalten Speisen im Korb. Und dann saß ich, bevor das Tageslicht versank, in meinem heruntergekommenen Haus. Egal in welchem der kalten, düsteren Zimmer meines Schuppens ich allein aß, es war jämmerlich, weil in beiden die muffig riechenden Pappkartons bis an die Decke standen und sich überall der mürbe Staub der vielen Jahre abgelagert hatte, in denen das Haus als Überlaufbecken für den Ansturm der Gänsejäger diente. Sie kamen immer im Herbst und würden bald wieder vor der Tür stehen. Für mich und meine Sachen war kaum Platz, nur auf der eisernen Pritsche, wo ich schlief, und der zweiten, die sie für Berner vorgesehen hatten, außerdem in dem »Küchenraum« mit dem blasigen roten Linoleum, einem fluoreszierenden Leuchtring an der Decke und einer doppelten Wärmeplatte, wo ich abends teerstinkendes Pumpenwasser in einem Topf heiß machte, um mich waschen zu können. Alles roch nach altem Rauch, lang verdorbenem Essen, Toilette und anderen beißenden menschlichen Gerüchen, deren Ursprung ich nicht kannte und die ich beim Putzen wegzukriegen versuchte, aber jeden Tag, wenn ich zur Arbeit fuhr, schmeckte ich sie wieder in meinem Mund und roch sie an meiner Haut und meinen Kleidern, das machte mich befangen. Morgens putzte ich mir an der Pumpe draußen die Zähne und wusch mir das Gesicht mit einem Stück Palmolive-Seife aus dem Drugstore. Je kälter es wurde, desto schärfer fuhr mir der Wind durch Arme und Wangen, und solange ich draußen war, spannte ich die Muskeln an, bis sie schmerzten. Wäre Berner hier gewesen, hätte sie bestimmt entmutigt ein weiteres Mal die Flucht ergriffen – und ich wäre mitgekommen.
    Wenn ich mein Essen aber mit zurückbrachte und bis zum Dunkelwerden mit der Mahlzeit unter dem fahlen Leuchtring an der Decke wartete, war die nächste Station die Pritsche, wo ich elend herumlag, bei dem grässlichen Licht versuchte, in einer meiner Schachzeitschriften zu lesen, oder mir wünschte, ich könnte mir mit dem kaputten Fernseher irgendeine Show ansehen, stattdessen lauschte ich den Tauben unter dem Blechdach und dem Wind, der die Planken des Silos auf der anderen Seite vom Highway zum Knarren brachte, den paar Autos und Lastern, die nachts vorbeifuhren, und manchmal auch Charley Quarters, der spät aus der Hotelbar nach Hause kam, vor seinem Trailer im Unkraut stand und Selbstgespräche führte. (Mittlerweile hatte ich »Métis« in meinem Buch der Welt , Band M, nachgeschlagen und wusste jetzt, dass damit ein Halbblut aus Indianern und Franzosen gemeint war.)
    All das verschwor sich jede Nacht gegen mich und zog mich in einen Strudel erbärmlicher Gedanken an meine Eltern und Berner, ich war mir sicher, dass ich beim Jugendamt in besseren Händen gewesen wäre, die hätten mich immerhin zur Schule geschickt, meinetwegen auch mit Gittern vor den Fenstern, aber dort hätte ich mit Leuten reden können, auch wenn es harte Farmjungs und perverse Indianer gewesen wären – statt hier festzusitzen, wo mich, falls ich im Herbst krank wurde, was manchmal passierte, keiner versorgen oder

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