Kanada
während die rote Sonne langsam über den Horizont stieg und Charley in seiner Grube bei den Sportsfreunden hockte – normalerweise vier in vier Gruben. Er würde die Gänse rufen und dazu nur seine menschliche Stimme benutzen – mit einem seltsamen, unnatürlichen ark-eik -Geräusch aus der Kehle, auf das er ganz stolz war und das die Gänse zu den Lockvögeln brachte, so dass sie leicht abzuschießen waren. (Er sagte, ich würde das nie lernen, das könnten nur Métis.) Von dem Truck aus konnte ich mit meinem Fernglas bis zu drei der Gruben beobachten und die abgeschossenen Gänse zählen, vor allem wegen der nur angeschossenen, damit das Maximum von fünf Gänsen pro Jäger nicht überschritten wurde. Nach dem Schießen, wenn der Boden übersät war mit toten und sterbenden Gänsen und die Sonne hoch stand, so dass die Lockvögel nicht mehr funktionierten, würden Charley und ich die Sportsfreunde mit dem Truck ins Leonard fahren, dann mit dem Jeep und dem Flachbettauflieger zurück, um die Lockvögel und die Kadaver einzusammeln und zur Nissenhütte zu bringen. Dort trennten wir auf dem Hackblock Flügel, Füße und Köpfe mit einem Beil ab, rupften sie mit der von Charley selbstgebauten Rupfmaschine, weideten sie aus, wickelten sie in Fleischerpapier und brachten sie den Jägern, die noch am selben Tag abfuhren, oder wir lagerten sie in Charleys Kühltruhe, bis die jeweiligen Sportsfreunde bereit zur Heimfahrt waren – nach Amerika, meistens.
Das war ein völlig neues Leben für mich, bislang hatte ich nur Air-Force-Stützpunkte und die Städte, die dranhingen, kennengelernt, und Schulen und gemietete Häuser mit meinen Eltern und meiner Schwester, ich hatte nie Freunde gehabt oder dazugehört, weder Pflichten noch Abenteuer gehabt und nie einen Tag allein in der Prärie verbracht. Ich mochte vielleicht noch nie gearbeitet haben – wie ich Arthur Remlinger gegenüber schuldbewusst eingestanden hatte –, aber ich stellte fest, dass mir Arbeit nichts ausmachte und dass ich mich ernsthaft und beharrlich darum bemühte, sie gut zu machen, sowohl im Leonard als auch bei der Gänsejagd. Zugegeben, ich hatte keine wichtigen Aufgaben zu erfüllen, aber ich fand sie angemessen. Im Leonard sah ich mir öfter das Verhalten von Erwachsenen an, wenn sie gerade glaubten, sie seien allein und unbeobachtet – das fand ich besonders interessant. Auf den Feldern eignete ich mir Spezialwissen an, über das andere Jungen in meinem Alter oder mit meinem bisherigen Leben nicht verfügen konnten – und das war immer mein Ziel gewesen. Am wichtigsten aber war, dass mein Hirn jeden Tag, wenn ich mich an meine Pflichten machte, die Gedanken hinter sich lassen konnte, mit denen es sich sonst beschäftigte – Gedanken an meine Eltern, ihr trauriges Schicksal, ihr Verbrechen und an meine Schwester. Und an meine Zukunft. Am Ende des Tages, wenn ich mich müde und oft mit schmerzenden Gliedern ins Bett legte, war mein Kopf eine Zeitlang leer, so dass ich sofort einschlafen konnte. Obwohl ich natürlich später allein im Dunkeln aufwachte und die alten Gedanken wieder auf mich warteten.
Charley Quarters war in jeder Hinsicht das seltsamste Wesen, das ich mir je hätte ausmalen können. Ich mochte ihn nicht, traute ihm nicht und war in seiner Gegenwart immer auf der Hut. Ich vergaß nie, wie er meine Hand am ersten Abend in dem dunklen Truck in den Klammergriff genommen hatte. Und mir war auch bewusst, dass er mich beobachtete, wenn ich den Schuppen verließ und mich zum Essen an meinen Servierwagen setzte oder meine Rundgänge machte. Manchmal, wenn wir zusammen im Truck saßen und auf das Meer von Weizenfeldern zurumpelten, fiel mir auf, dass er Lippenstift trug. Einmal roch er nach süßem Parfüm. Und ein anderes Mal trug er dunkles Augenmakeup, seine schwarzen Haare waren manchmal schwärzer als sonst, und gelegentlich war seine Stirn schwarzverschmiert. Natürlich erwähnte ich das nicht und tat so, als wäre mir nichts aufgefallen. Wobei ich mir sicher war, dass Arthur Remlinger davon wusste und dass es ihm vermutlich nichts ausmachte. Ich fand, sie waren beide so merkwürdig, wie man nur sein konnte. Außerdem war mir die ganze Zeit bewusst, dass Charley, da wir den Abort hinter meinem Schuppen gemeinsam benutzten – in dem es nebeneinander zwei eingesägte Sitzlöcher gab, einen Sack Kalk und einen Stapel alter Zeitungen, Saskatchewan Commonwealth –, dass Charley also jederzeit plötzlich auftauchen konnte, wenn ich
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