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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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freundlich meinte. Eher spöttisch. Einer ihrer seitlichen Vorderzähne war weg, in ihrem Mund gab es eine dunkle Stelle, das ruinierte ihr schönes Lächeln. Beide Mädchen hatten tief abgekaute Fingernägel und Kratzer auf den Armen und masernartige Knubbel um den Mund und Haare auf den Beinen, wie ich. Mit denen hätte ich mich niemals anfreunden können.
    Weit hinter den beiden Mädchen kam die große Nonne jetzt die Treppe herunter. Im Wind flatterte ihr das Gewand um die Knöchel. Andere Mädchen auf dem Hof musterten uns drei am Tor, als fände hier eine Ruhestörung statt. Die Nonne fing an zu fuchteln, während sie auf ihren langen Beinen eilig herankam. Ich wollte weg, bevor ich mit ihr in ein Wortgefecht geriet und sie die Polizei rief. Beide Mädchen drehten sich um, taten aber unbeeindruckt. Sie tauschten ein fieses, befriedigtes Grinsen aus, das einstudiert wirkte.
    »Hast du irgendwie ’ne Freundin?«, fragte die Ältere. Sie streckte die Hände durch das Gitter und wackelte mit den Fingern. Ich wich zurück. Das chinesische Mädchen in Fort Royal würde so etwas nicht machen, dachte ich.
    »Nein«, sagte ich.
    »Wie heißt du?«, fragte das kleinere Mädchen mit dem dünnen Arm.
    Ich packte meinen Lenker und setzte einen Fuß aufs Pedal, bereit zum Losfahren. »Dell«, sagte ich.
    »Geh weg! Weg mit dir!«, schrie die Nonne auf ihrem Weg über den Rasen, um ihre Taille hing ein Harnisch aus Holzperlen, ein großes Kreuz schwang hin und her, und ihr weißgeschrubbtes Gesicht, ihr Mund, ihre Augen, ihre Wangen und ihre Stirn saßen fest umschlossen in gestärktem weißem Stoff. »Geh weg, Junge!«, schrie sie.
    Die beiden Mädchen drehten sich wieder nach ihr um und tauschten herzlose Blicke.
    »Du Mann, schaff dich fort. Was hast du hier zu suchen?«, schrie die Nonne. Es war, als rechne sie jeden Augenblick mit etwas Fürchterlichem – oder als sei es gerade passiert.
    »Die alte Nutte«, sagte das ältere Mädchen und wirkte dabei ganz natürlich.
    »Wir hassen sie. Wenn sie tot wäre, würden wir uns freuen«, sagte das kleinere Mädchen. Sie hatte kleine, enge, dunkle Augen, und bei diesem Satz riss sie sie weit auf, wie schockiert über sich selbst.
    »Wo ich herkomme, ist Dell ein Affenname. In Shaunavon, Saskatchewan«, sagte die Ältere, unbeeindruckt von der heranstürmenden Nonne. Plötzlich schob sie ihren langen Arm weiter zwischen den Gitterstäben hindurch und umschloss mein Handgelenk mit einem Klammergriff, aus dem ich mich vergeblich zu befreien versuchte. Sie zerrte an mir, während die andere lachte. Ich kippte auf meinem Fahrrad seitwärts, nur mein rechtes Bein und mein Absatz hielten mich noch aufrecht, aber ich begann zu fallen.
    »Fass sie nicht an«, schrie die Nonne. Ich fasste doch niemanden an.
    »Er hat Angst vor uns«, sagte die Kleinere und setzte sich in Bewegung, während die Ältere mich weiter durch das Gitter gefangen hielt. Sie starrte mich an, quälte mich und genoss es. Sie grub ihre kleinen verkümmerten Fingernägel in die Haut an meinem Handgelenk, als wolle sie sie aufreißen.
    »Lass ihn los, Marjorie«, rief die Nonne, die jetzt fast das Tor erreicht hatte. »Er wird dir was tun.« Wegen ihrer schweren Gewänder kam sie nicht sehr schnell voran.
    Ich wurde von meinem Fahrrad heruntergezogen, an das Gitter des Tors. »Hör auf«, sagte ich. »Das brauchst du nicht zu tun.«
    »Ich will es aber.« Marjorie zog mich an das Gitter, nur um mir etwas zu tun. Mich fertigzumachen, dachte ich. Sie war viel stärker als Berner und größer. Sie hatte ein ruhiges Gesicht, aber ihre großen blauen Augen durchbohrten mich, und ihre Kiefer waren angespannt, als strengte sie sich besonders an. Sie war jünger als ich. Vierzehn, dachte ich aus irgendeinem Grund. »Ich will einen Mann aus dir machen«, sagte sie. »Oder eine Maus.«
    Endlich war die Nonne da, sie packte Marjorie bei der Schulter und zerrte sie zurück, aber die ließ mich nicht los. Die Nonne griff nach ihrem Kinn und drehte ihr den Kopf seitwärts, weg vom Tor. »Böse, böse, böse«, sagten ihre blassen, steifen Lippen wütend. Ihr schwarzes Gewand machte jede Bewegung schwierig für sie. Dann arbeitete sich ihr Blick zu mir vor, durch das Gitter. »Warum bist du hier?« Sie wurde rot im Gesicht. »Du gehörst nicht hierher. Geh weg.« Sie war auch sehr jung. Obwohl sie so wütend war, sah ihr Gesicht glatt und rein aus. Sie war nicht viel älter als Marjorie oder ich.
    In der Schule hatte eine Glocke

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