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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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wie Florence gemeint hatte. Aber was konnte das einem Mann wie ihm schon bedeuten?
    Remlingers Art zu rauchen – die Zigarette zwischen den Fingern seiner linken Hand schräg zu einem V emporgereckt, den Blick abgewandt – ließ ihn älter wirken, seine Haut war plötzlich weniger glatt, sein Profil weniger eckig, als wenn er mich direkt anschaute, sein Hals mit dem Muttermal dünner. Einen Moment lang hatte eine Leere von ihm Besitz ergriffen. Seine Mundwinkel zuckten neben dem V nach oben. »Du bist der junge Sohn von Bankräubern und Desperados«, sagte er und blies erneut Rauch auf die Fensterscheibe, weg von mir. »Du willst doch nicht, dass sich dein ganzes Leben nur um diese Tatsache dreht, oder?«
    »Nein, Sir.« Berner hatte gesagt, keiner glaube ihr die Geschichte von unseren Eltern, und bald würde sie selbst auch nicht mehr daran glauben.
    »Du möchtest, dass dein Ich durch andere Dinge geprägt wird.« Er sprach wieder so präzise. »Durch mehr , am besten.«
    »Ja, Sir.«
    Er leckte sich über die Lippen und hob das Kinn, als hätte es gerade in seinem Denken den nächsten Schwenk gegeben. »Liest du manchmal Biografien?«
    »Ja, Sir«, sagte ich. Wobei ich nur kurze Artikel im Buch der Welt gelesen hatte. Einstein. Gandhi. Madame Curie. Ich hatte Schulaufsätze darüber geschrieben. Aber er meinte richtige Biografien, die dicken auf seinem Bücherregal, von denen ich gar nichts wissen durfte. Napoleon. U.S. Grant. Mark Aurel. Die wollte ich lesen und ahnte, dass ich das eines Tages auch tun würde.
    »Ich finde«, sagte Remlinger, »dass Menschen, die eine Menge in ihrem Inneren tragen und zu tragen haben, sich für die Taten großer Feldherren interessieren sollten. Die haben immer begriffen, was es mit dem Schicksal auf sich hat.« Er wirkte erfreut und sprach jetzt sicherer. »Sie wissen, dass ein Plan nur sehr, sehr selten aufgeht, dass Scheitern die Regel ist. Sie wissen, was es heißt, unvorstellbar gelangweilt zu sein. Und sie wissen alles über den Tod.« Er betrachtete mich forschend. Zwischen seinen Augenbrauen bildeten sich Falten. Anscheinend wollte er mir das als Antwort auf meine Frage verkaufen, warum er hier sei. Er war wie mein Vater. Sie wollten mich beide als Publikum, als Zuhörer für das, was sie dringend zu sagen hatten. Meine Frage würde er mir nicht beantworten.
    Remlinger nahm sein Portemonnaie aus der Jacke und legte einen Geldschein auf den Tisch, um zu bezahlen. Der Schein war rot, anders als amerikanisches Geld. Er hatte es plötzlich eilig zu gehen, zurück zum Buick, und dann mit großer Geschwindigkeit über die Prärie zu sausen. Und dabei alles zu überfahren, was er überfahren konnte.
    »Ich mag Amerika nicht besonders«, sagte er im Aufstehen. »Hier oben hören wir auch nicht viel davon.« Zwei Gäste am Tresen drehten sich nach ihm um, diesem großen, blonden, attraktiven, seltsamen Mann. Einer der Polizisten drehte sich ebenfalls um. Remlinger merkte nichts. »Es ist komisch, so nah dran zu sein«, sagte er. »Das denke ich die ganze Zeit.« Er meinte: an Amerika. »Nicht mal 200 Kilometer. Kommt es dir sehr anders vor? Hier oben?«
    »Nein, Sir«, sagte ich. »Eigentlich genauso.« Und das fand ich auch.
    »Na. Das ist ja gut«, sagte er. »Du hast dich schon angepasst. Wahrscheinlich bin ich deshalb da, wo ich bin. Ich habe mich angepasst. Wobei ich irgendwann einmal gern ins Ausland reisen würde. Nach Italien. Ich liebe Landkarten. Magst du die auch?«
    »Ja, Sir.«
    »Also. Wir müssen ja kein Wettrennen gewinnen, nicht wahr.«
    »Nein, Sir.«
    Mehr als das sagte er nicht. Die Vorstellung, dass er ins Ausland reisen würde, kam mir komisch vor. So ungewöhnlich und fehl am Platz, wie er in Saskatchewan wirkte – zugleich schien er auch hierherzugehören. Es war immer noch meine kindliche Auffassung, dass die Menschen dort hingehörten, wo ich sie antraf. Wir verließen das Café. Ich war nie mehr dort.

55
    Was jetzt kommt, kann ich nicht so darstellen, dass es in Bezug auf unser vermeintlich allgemeines Weltwissen vernünftig oder logisch erscheint. Aber, wie Arthur Remlinger sagte, ich war der Sohn von Bankräubern und Desperados, das war seine Art, mir ins Gedächtnis zu rufen, dass, egal was das eigene Leben zu beweisen scheint, egal für wen man sich hält, was man sich auf die Fahnen schreibt, woraus man Lebenskraft zieht oder worauf man stolz ist – dass alles Mögliche passieren kann, mit allen möglichen Folgen.
    Es begab sich, dass Charley

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