Kanada
Quarters mir bald darauf bedeutsame Dinge über Arthur Remlinger erzählte – über Verbrechen, die er begangen hatte, und seine verzweifelte Flucht vor der Obrigkeit, über seinen Hang zu gewalttätigen und flüchtigen Launen. Charley redete herablassend von ihm und fühlte sich nicht veranlasst, diese Informationen aus Loyalität für sich zu behalten. Remlinger wäre einer, der Loyalität nicht zu schätzen wüsste, sagte er, und überhaupt nicht viel auf der Welt respektierte. »Die Wahrheit über so einen zu erfahren kann nicht schaden, wer weiß, wovor sie dich noch bewahrt.«
Es begab sich also (diese Worte hätte ich damals nicht formulieren können, sie ruhten in irgendeinem noch unerschaffenen Teil meiner selbst), dass Arthur Remlinger mich betrachtete wie jeden anderen Menschen – von einem inneren Dasein aus, das ihm allein gehörte und praktisch keine Ähnlichkeit mit dem meinen hatte. Meines war ihm schlicht unbekannt. Wohingegen sein Dasein für ihn vor allem anderen kam – das hatte er sich in seinen Augen leidvoll verdient – und sich vorrangig durch eine innere Leerstelle auszeichnete, die ihm sehr wohl bewusst war und die er dringend auszufüllen suchte (das war offensichtlich, sobald man ihm näherkam). Er war immer wieder damit konfrontiert, so häufig, dass sie in seinen Augen das Hauptproblem seines Lebens als Arthur Remlinger darstellte und in meinen Augen das, was ihn so faszinierend und so unstet machte – dieses erfolglose Streben danach, eine Leerstelle auszufüllen. Was er suchte (diese Schlüsse zog ich später, denn er suchte etwas, sonst wäre ich nicht dort gewesen), war ein Beweis – von mir oder durch mich –, dass er seine Leerstelle erfolgreich ausgefüllt hatte. Er wollte die Bestätigung dafür, dass er es geschafft hatte und keine Strafe für seine früheren großen Fehler mehr verdiente. Seine Gleichgültigkeit mir gegenüber während meiner Wochen in Partreau, als ich mich an dem Gedanken festklammerte, dass ich nicht für immer allein sein würde, hatte nur einen Grund: Er war sich nicht sicher, ob ich ihm verlässlich geben konnte, was er wollte – nicht bevor ich mich nicht an meine eigenen schweren Umstände gewöhnt und meine eigene Tragödie weit genug hinter mir gelassen hatte, um mich der seinen zu widmen. Er brauchte mich als seinen »besonderen Sohn« – wenn auch nur für kurze Zeit, denn er wusste bereits von dem Unheil, das auf ihn zukam. Er brauchte mich dafür, dass ich tat, was ein Sohn für seinen Vater tut: Zeugnis darüber ablegen, dass er bedeutend ist, nicht hohl, keine schallende Leerstelle. Dass der Vater zählt, auch wenn es sonst kaum danach aussieht.
Damals war ich erst fünfzehn und glaubte meist, was mir die Leute erzählten – manchmal mehr als das, was mir im Herzen als wahr erschien. Wäre ich älter gewesen, siebzehn zum Beispiel, und etwas erfahrener, hätte ich mehr als nur unausgegorene Vorstellungen von der Welt gehabt, dann wäre mir klar gewesen, dass meine Gefühle – also dass ich mich von Remlinger angezogen fühlte, dass ich den Gefühlen für meine Eltern gestattete, sich unter meinen Gedankenwellen einzunisten –, dass diese Gefühle Anzeichen und Ausdruck des auch auf mich zurollenden Verhängnisses waren. Aber ich war zu jung und befand mich zu weit außerhalb der Grenzen des wenigen, was ich wusste. So ähnlich war es mir ergangen, als meine Eltern ihren Bankraub planten und ausführten – als wir das Haus geputzt und Berner und ich auf ihre Rückkehr gewartet hatten, und später, als ich bereit für den Zug nach Seattle gewesen war und für den Verzicht auf die Highschool. Aber ich konnte keine Verbindungen zwischen den damaligen und den jetzigen Gefühlen herstellen, auch nicht erkennen, dass sie für dasselbe standen. Mir fehlte ein Sensorium für diese Art der Verknüpfung. Nur, woher kommt diese Anziehungskraft von Menschen, die außer uns keiner als gut oder zuträglich ansehen würde, sondern nur als gefährlich und unberechenbar? In den Jahren seitdem habe ich immer wieder gedacht, was für ein schieres Pech diese Verstrickung mit Arthur Remlinger war, so kurz nach der Verhaftung meiner Eltern. Aber das sollte jeder Mensch lernen – intuitiv zu erkennen, wenn etwas in der Umgebung nicht gut ist, wenn es Bedrohungen gibt, sich daran erinnern, dass man dieses Gefühl schon einmal hatte. Es bedeutet, man steht ganz allein und ausgesetzt in schier endloser Leere – und dann heißt es, Vorsicht walten zu
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