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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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staubige Kuppe, und da waren vor uns auf dem Asphalt plötzlich sechs prächtige Fasane sorglos aus den Weizenfeldern spaziert und damit beschäftigt, im Schotter nach den Weizenkörnern zu picken, die von den Getreidelastern, unterwegs zum Silo von Leader, gefallen waren. Ich dachte, er würde bremsen oder ausweichen. Ich klammerte mich sowieso schon am Sitz fest. Und nun flogen meine Hände ans Armaturenbrett, meine Füße stemmten sich gegen den Wagenboden, meine Knie pressten sich aneinander, denn gleich würde der große Buick doch ins Schwimmen oder Schleudern kommen, in die Stoppelfelder geraten oder abheben und sich ein Stück weiter überschlagen, wie weit auch immer Tempo 140 uns durch die Luft befördern würde, und dann wären wir tot. Doch Arthur zog die Bremse nicht einmal in Betracht. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Er fuhr direkt durch die Fasane hindurch – einer klatschte gegen die Windschutzscheibe, zwei wurden wegkatapultiert, ein vierter und fünfter verwandelten sich in Federn auf dem Highway, und ein sechster blieb unversehrt, bemerkte das vorbeirasende Auto kaum. »Solche Vögel kriegt man hier öfter zu Gesicht«, sagte er. Kein Blick in den Rückspiegel. Ich war verblüfft.
    Später, als wir die kleine Stadt Leader, Saskatchewan, erreichten und auf ein Sandwich ins Modern Café gingen, musterte mich Arthur mit seinen klaren blauen Augen über den Tisch hinweg, die dünnen Lippen beinahe lächelnd zusammengekniffen, als formulierte er seine Worte erst einmal stumm, bevor er sie aussprach, aber dann lächelte er doch nicht. Er hatte seine braune Lederjacke mit dem Pelzkragen an, ähnlich der Bomberjacke, die mein Vater aus dem Krieg mitgebracht hatte, nur schöner. Sein grünes Seidentaschentuch hatte er sich als Serviette in den Kragen gestopft. Seine Lesebrille baumelte an ihrem Band auf der Brust. Die blonden Haare waren sorgfältig gekämmt. Seine knochigen, manikürten Finger mit den Härchen obendrauf manövrierten Gabel und Messer, als sei sein Essen das Wichtigste auf der Welt. Er hatte nie einen Grund dafür genannt, warum er mich wochenlang ignoriert hatte. Und nun würde er mich vermutlich ebenso unbegründet beachten. So war das eben.
    »Wie lang bist du jetzt schon hier, Dell?«, fragte Arthur Remlinger und strahlte mich urplötzlich an, als sei ihm eingefallen, dass er mich mochte.
    »Fünf Wochen.«
    »Und macht dir deine Arbeit Spaß? Bringt sie dir was?« Er sprach in einer genau bemessenen Weise, mit lebhaften Mundbewegungen, als läge zwischen den Wörtern immer ein kleiner Zwischenraum und er genösse ihren Klang. Seine Stimme war für einen so attraktiven und kultiviert wirkenden Mann unerwartet nasal. Manches, was er an sich hatte, ließ ihn altmodisch wirken, obwohl er gar nicht alt war.
    »Ja, Sir«, sagte ich.
    Er piekste mit seiner Gabel in die Kruste seines Schweinekoteletts. »Mildred hat gesagt, du wärst vielleicht ein bisschen unstet.« Er schnitt ein kleines fettiges Stück ab und steckte es in den Mund, wobei die Zinken seiner Gabel nach unten wiesen, das hatte ich noch nie bei jemandem gesehen. Er war Linkshänder – wie Berner. »Das ist übrigens vollkommen in Ordnung«, sagte er. »Ich bin selber unstet. Und ich lasse mich leicht zu etwas verleiten – früher zumindest. Hier draußen sind wir alle unstet. Es ist nicht natürlich, hier zu leben. In diesem Punkt sind wir uns ähnlich, du und ich.«
    »Ich bin nicht unstet.« Ich nahm es Mildred übel, dass sie so etwas gesagt hatte, und ich nahm ihr auch übel, dass sie es wusste. Ich wollte nicht so sein.
    »Tja.« Er schaute erfreut drein, was seinen fein geschnittenen Gesichtszügen gut bekam. »Du bist noch nie allein gewesen, und du hast eine unangenehme Erfahrung hinter dir.«
    In dem Café saßen Farmer und Leute aus der Stadt, und am Lunchtresen aßen zwei Polizisten in schweren braunen Jacken mit Messingknöpfen. Wir waren ihnen aufgefallen. Sie kannten Arthur Remlinger, genau wie die Mormonin auf der Straße in Fort Royal. Er war sehr leicht wiederzuerkennen.
    Ich sollte ja keine Fragen stellen, sondern abwarten, bis ich etwas erzählt bekam. Aber ich wollte wissen, warum er mit dem Auto direkt durch die Fasane durchgefahren war und sie getötet hatte. Das hatte mich schockiert. Mein Vater hätte so etwas nie getan, Charley Quarters schon eher.
    »Es ist keine leichte Aufgabe, hier oben zu leben«, sagte er, gemächlich sein fettes Fleisch kauend. »Mir hat es nie gefallen. Die Kanadier

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