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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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lassen.
    Natürlich tat ich, statt Vorsicht walten zu lassen, Folgendes: Ich ließ mich von Arthur Remlinger und von Florence La Blanc »aufnehmen«, als wäre das die naheliegendste und logischste Konsequenz aus der Tatsache, dass mich meine Mutter nach ihrem eigenen unheilvollen Pech weggeschickt hatte. Das währte nicht lange. Aber ich ließ mich mit Haut und Haaren darauf ein, wie es Kinder eben können – denn zum Teil war ich immer noch ein Kind.

56
    In den ersten Oktobertagen, nachdem ich mich in meiner winzigen Kammer im Leonard häuslich eingerichtet hatte, sah ich Arthur Remlinger oft – als wäre ich plötzlich sein Liebling geworden und er könnte gar nicht genug von mir bekommen. Ich machte weiter alle Arbeiten, die mir aufgetragen wurden, und es machte mir Spaß. Ich kundschaftete mit Charley abends die Gänse aus, stand um vier auf und brachte die Sportsfreunde hinaus auf die dunklen Weizenfelder, plazierte die Lockvögel, plauderte locker mit den Jägern und ging dann auf meinen Posten, um die getroffenen Gänse durchs Fernglas zu beobachten.
    Wenn ich allerdings nicht mit diesen Pflichten beschäftigt war, erhob Arthur Remlinger Anspruch auf meine Zeit. Ich war glücklich darüber, denn ich hatte die zuvor erwähnten Gefühle noch nicht mit ihm verknüpft und war nicht auf der Hut (oder nicht genug) und hatte beschlossen, ihn zu mögen – als Mann, der mir vielleicht später mal als Vorbild dienen konnte.
    Remlinger wies mich an, ihn beim Vornamen zu nennen, nicht »Sir« – was für mich ganz neu war. Er nahm mich mit ins Chop-Suey-Restaurant und brachte mir bei, mit Stäbchen zu essen und Tee zu trinken. Ich erhaschte ab und zu einen Blick auf die Tochter, aber ich dachte nicht mehr an sie und hegte auch keine Hoffnungen mehr auf eine Freundschaft. An anderen Abenden aß ich im Speisesaal des Leonard zusammen mit Arthur und Florence. Sie brachte Blumen für den Tisch mit und stellte mich den anderen Gästen vor, als wären wir verwandt und hätten eine gemeinsame Geschichte und Arthur wäre mein Vormund. In diesem Sinne behandelte er mich wie seinen Sohn, als lebte ich tatsächlich in Fort Royal im Leonard und als wäre daran nichts Seltsames.
    Bei diesen Gelegenheiten sprach Arthur, in einem seiner schönen Tweedanzüge, mit polierten Schuhen und greller Krawatte, öfter über seine ausgeprägte Beobachtungsgabe, die ihn seiner Meinung nach zu vielen anderen Dingen befähigte, nicht bloß zur Leitung eines Hinterwäldlerhotels. Er sagte, ich solle mein Können ausbauen, um mir eine gute Zukunft zu sichern. Etwas verkrampft holte er ein kleines Notizbuch mit blaulinierten Seiten hervor, das er mir zugedacht hatte, und er wies mich an, darin meine Gedanken und Beobachtungen festzuhalten, es aber niemandem zu zeigen. Wenn ich später regelmäßig läse, was ich früher geschrieben hätte, sagte er, würde ich feststellen, wie viel sich auf der Welt ereigne – »eine Riesenmenge« –, auch wenn es einem manchmal so vorkam, als passierte gar nichts. Und so könne ich meinen voranschreitenden Lebensweg einschätzen und verbessern.
    In dieser Zeit nahm er mich auf weitere Ausflüge mit dem Auto mit – einmal nach Swift Current, wo er Schulden zu bezahlen hatte, einmal sogar bis nach Medicine Hat, um Florence abzuholen, deren Auto liegengeblieben war. Und ein anderes Mal brachte er mich auf rumpelnden Schleichwegen über die Prärie zu einem lehmigen Steilhang über dem Saskatchewan River, wo sich unter uns eine handgezogene Fähre über den Strom mühte. Bei laufender Wagenheizung beobachteten wir Tausende Gänse, die auf dem glitzernden Wasser dahintrieben und schnatterten, an beiden mäandernden Ufern entlang. Weiße Möwen kreisten über ihnen durch die stürmische Luft. Remlingers blonde Haare, wie immer gut geschnitten und ordentlich gekämmt, glänzten beeindruckend, die Brille hing ihm um den Hals, und er roch nach Aftershave. Im Auto rauchte er, erzählte von Harvard und wie perfekt es sich dort leben ließ (ich hatte nur eine vage Ahnung von Harvard und wusste nicht mal, dass es in Boston lag). Er erzählte von den Auslandreisen, die er zu unternehmen wünschte – für Irland und Deutschland interessierte er sich auch –, und manchmal von den 6000 Kilometern Grenze, die er den »Übergang zu den Staaten« nannte. Das sei aber, erklärte er, kein natürlicher oder logischer Übergang, mit Natur habe das gar nichts zu tun und gehöre deshalb abgeschafft. Stattdessen stehe die Grenze nur

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