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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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versichert. Das sei der amerikanische Schmelztiegel dort. Das Kraftzentrum. Der bunte Flickenrock. Detroit ziehe die ganze Welt an, sagte er. »Detroit gibt, was die Welt liebt. Und so weiter.« Von dort näherten sich die Männer, die der Wahrheit auf die Spur kommen und zu ihrem Recht verhelfen wollten. Ich war noch nie in Detroit gewesen, aber weil ich nicht weit davon entfernt geboren worden war, ein Stück nördlich in Oscoda, interessierte ich mich dafür.
    »Was hat das mit mir zu tun?«, fragte ich. Mittlerweile war ich mutiger geworden und hatte auch den ersten Schock überwunden. Wir hielten gerade an der kleinen Eingangstür des Leonard, über der mit schwarzen Lettern FOYER stand. Wind ließ die Scheiben des Trucks erzittern. Ich starrte Charleys merkwürdiges, knubbliges, immer noch rougeverschmiertes Profil an. Ein Zwergengesicht über einem wuchtigen, energischen Körper.
    »Wenn du Glück hast, gar nichts«, sagte er. Seine großen fleischigen Lippen stülpten sich prall nach vorn, was bedeutete, dass er nachdachte. »Wenn du klug wärst, würdest du das Geld nehmen, das du hortest, und einen Bus besteigen. Irgendwo in der Nähe der Grenze aussteigen, rüberschlüpfen und dich nie mehr blickenlassen. Wenn du hier bleibst, bist du nur eine Bezugsgröße für ihn, die er in seine Strategie einbaut. Ihm ist es vollkommen schnuppe, was aus dir wird. Er will nur etwas beweisen.«
    »Die würden mich doch erwischen und ins Jugendgefängnis stecken«, sagte ich.
    »Ich wäre damals besser damit gefahren«, sagte Charley. »Man denkt immer, man würde das Schlimmste kennen. Aber es ist nie das Allerschlimmste.«
    Er meinte also, ich solle lieber nach Great Falls zurückfahren und mich als der vermisste Dell Parsons der Polizei stellen – und dann ginge es in meinem Leben nur noch um mich: Ich säße hinter Gittern und würde auf eine gefrorene Landschaft hinausstarren und auf gar nichts warten, bis ich achtzehn war. Das war für meine Mutter das Schlimmste. Und für mich auch, immer noch. Ich wusste Charley nichts zu antworten. Wie meistens. Er konnte nur für sich sprechen. Aber ich wusste, was für mich das Schlimmste war, ganz gleich, was mit Arthur Remlinger passierte. Und ganz gleich, was mit mir als Bezugsgröße passierte – worunter ich verstand, dass ich lediglich Teil einer Laune sein würde, vergessen, sobald alles vorüber war.
    Charley wollte gar keine Antwort mehr von mir. Er hörte mir nur so viel zu wie unbedingt nötig. Ich stieg aus seinem alten Truck auf die sandige, windige Straße von Fort Royal und warf die Tür zu. »Die meisten Versager sind Selfmademen«, rief er, als sie zufiel. »Merk dir das.« Ich sagte nichts weiter. Er fuhr weg und überließ mich meiner Zukunft.

59
    Als die beiden Amerikaner eintrafen, war ich gerade im engen Foyer des Leonard – noch am selben Tag, an dem mir Charley alles über Remlinger erzählte. Das Leonard hatte gar kein richtiges Foyer, nur einen quadratischen, schummrigen Eingangsraum am Fuß der zentralen Treppe, wo eine Rezeption mit Glocke und Lampe und einer Reihe Schlüsselhaken an der Wand eingebaut worden war. Ich hatte zu Mittag gegessen und wollte mich gerade hinlegen, ich war seit vier Uhr auf und sollte abends noch Gänse auskundschaften. Charley hatte mich auf den Gedanken gebracht, dass die Amerikaner bald eintreffen würden, und ich wollte sie sehen, hatte sie mir vorgestellt und war so oft wie möglich durchs Foyer gegangen. Aber eigentlich hatte ich nicht erwartet, dass sie schon an diesem Tag eintreffen würden.
    Sie meldeten sich bei Mrs Gedins an, die in der Küche die Glocke gehört hatte. Sie sprach kaum mit den Männern. Doch als sie ihre Namen sagten – Raymond Jepps, Louis Crosley –, sah sie vom Register auf, ihre verschwommenen schwedischen Augen schauten streng und misstrauisch, als hätten Amerikaner etwas grundsätzlich Unaufrichtiges an sich und ihr könne sowieso keiner was vormachen.
    Sie hatten beide einen Lederkoffer. Und da ich manchmal für die Sportsfreunde das Gepäck aufs Zimmer brachte, wofür ich einen Vierteldollar bekam, stellte ich mich an die Wand unter das Bild von Queen Elizabeth und wartete. Mrs Gedins teilte den beiden mit, sie würden im Überlaufhaus (also in meinem Schuppen) schlafen, da das Hotel ausgebucht sei (was nicht zutraf). Sie würde dafür sorgen, dass Charley sie dort hinbringe, sobald sie so weit seien. Das war das erste Anzeichen dafür, dass Charleys Angaben stimmten: Die beiden

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