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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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konnte ihm nicht folgen. Ich vermutete meine Fehler hinter einem Satz, den mein Vater immer sagte: »Der Mensch kommt so zwangsläufig zum Ärger, wie Funken aufwärts fliegen.« Das klang nach Fehlern. Aber ich hatte keine Ahnung, von welchen meiner Fehler Remlinger wusste. Fast hätte ich gesagt: Ich habe nichts falsch gemacht, wovon Sie wissen . Aber ich wollte nicht streiten.
    »Natürlich macht es mir etwas aus, dass ich hier oben sterben werde«, sagte er. »Das kann ich schon sagen.« Er sprach noch immer so deklamatorisch. »Man fragt sich doch: Wofür lebe ich? Nur um alt zu werden und zu sterben?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
    Wir fuhren an zwei Hirschkühen vorbei, die am Rand des Highways standen, ihr Fell, ihre Gesichter und Augen glitzerten im Schneegestöber. Sie rührten sich nicht, als hätten sie den Buick weder gesehen noch gehört. Remlinger war weiterhin in seiner entschlossenen Stimmung – die hatte er mir bislang noch nie gezeigt. Wie ging es ihm wohl gerade? So etwas fragte ich mich normalerweise nicht, noch nie eigentlich – außer bei Berner, die es immer gleich sagte. Arthur hatte die beiden Amerikaner noch nicht erwähnt, seit wir im Auto saßen. Als wäre diese Begegnung unwichtig und es gäbe nichts darüber zu sagen.
    Er steuerte uns durch den Blizzard und warf mir erneut einen Blick zu. »Du bist Geheimagent, stimmt’s?« Er schien gleich lächeln zu wollen unter seiner Hutkrempe, tat es aber nicht. »Du sprichst nicht darüber, aber du bist es.«
    »Ich spreche«, sagte ich. »Mich fragt ja keiner.«
    »Papageien sprechen auch – aber nur aus Verzweiflung«, sagte er. »Ist das der Grund, warum du sprichst? Du interessierst mich. Das weißt du, oder?«
    »Ja, Sir«, sagte ich. Dabei wusste ich nicht genau, was ein Geheimagent eigentlich war.
    »Also.« Er streckte die Arme lang, packte das Steuer fester und starrte nach vorn in das Schneetreiben. »Heute Abend hörst du möglicherweise einiges – wenn wir hier aussteigen –, das dich überraschen könnte. Diese beiden sagen vielleicht, ich hätte Dinge getan, die ich nicht getan habe. Verstehst du? Das ist dir wahrscheinlich auch schon mal passiert. Jemand dachte, du hättest etwas getan, es war aber nicht so. Damit müssen alle Geheimagenten leben. Ich bin ja selbst einer.«
    Es kam mir vor, als müsste ich jetzt zustimmen, damit er keinen Verdacht schöpfte, dass ich wusste, was er getan hatte – weil das schlecht für mich ausgehen konnte. Wobei ich die Geschichte sowieso hören würde. Dass ich sie schon vorher kannte, machte jetzt auch keinen Unterschied mehr. Aber ich sagte: »Ja, Sir«, obwohl es nicht stimmte. Ich war noch nie zu Unrecht beschuldigt worden.
    »Also, wenn du mich zu diesen beiden sagen hörst, dass du mein Sohn bist«, fuhr Remlinger fort, »widersprich mir einfach nicht. Hast du verstanden? Reicht dir das? Auch wenn du es nicht bist?«
    Das Silo von Partreau kam in Sicht, im verschneiten Dunkel aufragend, während die vertrauten leeren Häuser fast unsichtbar am Rand des Highways standen. In Charleys Trailer neben der Nissenhütte brannte Licht, was durch die Papierritzen in den Fenstern zu erkennen war. Sein Truck war nicht zu sehen. Im Überlaufhaus war es ebenfalls hell. Der Chrysler der Amerikaner stand auf der bröckligen Straße, Schnee sammelte sich auf der Windschutzscheibe und der Motorhaube. Wir würden dort hineingehen.
    Mich schockierte, dass Remlinger mich als seinen Sohn ausgeben wollte. Ich hatte mir zwar selbst im Stillen Gedanken dieser Art gemacht, aber die waren verflogen, seit Charley mir am Vortag im Truck alles erzählt hatte. Dass Remlinger so etwas sagte, war bizarr, es schlug mir auf den Magen, ich konnte mich gar nicht mehr auf das konzentrieren, was er sonst von mir wissen wollte. Egal was ich mir halb ausgemalt hatte, Arthur Remlinger war nicht mein Vater. Mein Vater saß in North Dakota im Gefängnis. Er war nicht dieser Mann mit dem Hut da im Dunkeln.
    »Du redest nicht genug. Das hat Charley gesagt.« Remlinger musterte mich streng. Wir waren in die South Alberta Street eingebogen, der Buick rumpelte und schaukelte über Schlaglöcher und Asphaltreste, die die Elemente übrig gelassen hatten. Die leeren Häuser lagen vor uns im Scheinwerferlicht; die kaputten Jahrmarktkarussells, die Erbsensträucher. »Haben diese Männer dich angesprochen?« Wir hielten hinter dem Wagen der Amerikaner, dessen Nummernschild von Schnee und Eis bedeckt war. Jetzt regnete es nicht mehr,

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