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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Sie trat zurück in den Flur, wo das Licht ihre weichen, runden Züge verschwimmen ließ. »Ich wollte dich nicht so überfallen.«
    »Vielen Dank«, sagte ich und hielt das Buch vor mich. Ich fühlte mich ganz und gar sichtbar.
    »Ich habe Kinder«, sagte Florence und wedelte mit der Hand. »Du bist genau wie sie.«
    Dann ging sie. Ich machte die Tür wieder zu und schloss ab. Ich hörte ihr Gewicht auf der Treppe, bis sie ganz unten angekommen war.

63
    Remlinger spürte mich in der Küche des Leonard auf, wo ich Charley erwartete, um mit ihm zu unserem abendlichen Kundschaftergang aufzubrechen. Ich trank einen Becher Kaffee mit Zucker und Milch, wie morgens gegen die Kälte im Truck, eine neue Gewohnheit. Ich trug meine warmen Sachen – die lange Unterwäsche, die Karowolljacke und Mütze, die Wollhose und die Dayton-Schuhe. In der Küche mit ihren Essensdünsten fand ich es schon zu warm. Sie war nicht größer als in einem Einfamilienhaus – mit einem alten Servel-Kühlschrank, einem Holzofen zum Kochen, einem kleinen Stapel Anmachholz, einem Tisch zum Anrichten der Speisen und einer Speisekammer. Mrs Gedins duldete mich dort, weil ich keinen anderen Aufenthaltsort hatte, außer meinem Zimmer, wo ich allein herumsaß. Aber sie redete nie mit mir. Sie kochte Gemüse und füllte Auflaufformen mit Hackbraten. Sie runzelte die Stirn, als sie Remlinger erblickte – als hätten sie sich gestritten, aber das hatten sie ja auch vielleicht.
    »Ich will, dass du jetzt mitkommst«, sagte Arthur zu mir. Er wirkte sehr entschlossen und schien Gewissheit über irgendetwas erlangt zu haben – anders, als ich ihn sonst kannte. Er war unrasiert und hatte müde Augen. Sein Atem roch nach Essig. Er trug seine schicke Lederjacke mit dem Pelzkragen und seinen braunen Filzhut. Er war mit geröteten Wangen von draußen hereingekommen. »Wir müssen jetzt einen kleinen Ausflug machen.«
    »Ich warte auf Charley.« Ich schwitzte in meinen Kleidern. Ich wollte nicht mit ihm los.
    »Der ist schon weg. Ich habe mit ihm gesprochen. Er wird mit den anderen Jungen auf Erkundung gehen.«
    »Wo fahren wir hin?« Ich wusste es, wusste es auf ganz grundsätzliche Weise, deshalb war das eigentlich gar keine Frage. Wir würden irgendetwas wegen der Amerikaner unternehmen, die inzwischen bestimmt ihren Entschluss gefasst hatten. Ich wäre lieber in der Küche geblieben und hätte auf Charley gewartet. Das war für mich zu einer Gewohnheit geworden, die ich mochte. Aber Charley kam nicht, und ich hatte wohl keine Wahl.
    »Diese zwei Sportsfreunde müssen mit mir reden«, sagte Remlinger mit flackernden Augen. Er schien irgendwie in Bewegung zu sein, obwohl er doch bei uns in der Küche stand. Er redete nie mit Sportsfreunden, außer wenn er in der Bar und im Speisesaal die Runde machte. Charley erledigte das. »Du hast sie vielleicht gestern Abend gesehen.« Unerwartet lächelte er und wandte sein Lächeln Mrs Gedins zu, die ihm nur den Rücken zukehrte und sich am Herd zu schaffen machte. »Es ist gut für dich, wenn du mitkommst. Eine Erweiterung deiner Perspektive. Teil deiner Bildung. Diese beiden sind Amerikaner. Du wirst etwas Wertvolles lernen.«
    Er hatte seinen deklamatorischen Ton angeschlagen, als spräche er vor einem größeren Publikum – dabei waren nur ich und Mrs Gedins da. Oder als müsste er sich selbst hören. Niemand sagte nein zu ihm, höchstens Florence, die mich mit einem Wort davor hätte bewahren können, mitzugehen. Aber sie war nicht da. Alles in der Küche war mit einem Mal intensiver – die Hitze, das Surren unter meinen Rippen, das Licht, das Blubbern des kochenden Gemüses. Nur auf mich gestellt, konnte ich nicht nein sagen.
    »Sind das die beiden Männer aus Detroit?«, fragte ich.
    Remlinger legte den Kopf schief und sah auf mich herunter, sein Lächeln schwand dahin, als hätte ich etwas Überraschendes gesagt. Ich hatte nichts offenbart, was ich für mich hätte behalten sollen. Ich war ja dabei gewesen, als die Amerikaner ankamen. Aber das wusste er nicht. Es schien ihn zu beunruhigen. Er musterte mich seltsam. Ich hatte doch nur irgendetwas sagen wollen.
    »Was weißt du davon?«, fragte er. »Von wem hast du das gehört?«
    »Er war da, als sie ankamen«, sagte Mrs Gedins, ohne sich umzudrehen, mit ihrem schwedischen Akzent. »Er hat sie gehört.« Sie rührte in einem Topf.
    »Ach was?« Remlinger richtete sich kerzengerade auf und legte seinen schönen Kopf in den Nacken, als käme dadurch die Wahrheit

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