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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Ihnen sprechen, allein? Wir wollen Ihnen etwas sagen.« (Oder »Sie etwas fragen«, »nach etwas fragen«.) Als wollten sie den Besuch eines der Mädchen in ihrem Schuppen arrangieren oder mehr über das Glücksspiel erfahren. Arthur würde darauf ganz vertrauensvoll und zugleich ausweichend reagieren. »Nicht in meinen Räumen. Bei Ihnen. Im Überlaufhaus. Da sind wir ungestört.«
    Ich hatte alles durchdacht – die Kraft des Denkens gegen die handfesten Ereignisse arbeiten lassen. Aber jetzt sah es ganz danach aus, als fänden diese handfesten Ereignisse bald statt. Ob ich mit meinem Denken richtiglag oder nicht, lohnte die Frage nicht mehr. Mein Vater hatte wohl doch recht behalten.
    Ich sah aus dem Badezimmerfenster im ersten Stock, in meiner Brust surrte es noch immer. Auf dem Parkplatz stand Remlinger neben seinem Buick, umwirbelt von Schneeregen, die Scheinwerfer leuchteten, die Scheibenwischer schlappten hin und her, und der Motor spuckte weißen Qualm in die Nacht. Er sprach mit einem Mann, den ich noch nie gesehen hatte – einem großen dünnen Mann in Wollmütze und beigefarbener Windjacke und Straßenschuhen, der sich selbst umarmte, als wäre ihm kalt. In seiner Mütze verfing sich der Schnee, den der Wind heranblies. Remlinger führte ein ernstes Gespräch mit ihm, sein Arm zeigte erst in großem Bogen auf das Leonard, dann in Richtung Highway und Partreau, als gäbe er Anweisungen. Sie schauten nicht hoch zu mir. Irgendwann legte Arthur eine Hand auf die Schulter des großen Mannes – er sah wie Mitte dreißig aus und war ungefähr so groß wie Arthur, aber dünner – und zeigte wieder zum Highway. Beide nickten. Ich vermutete, auch das hatte mit den Amerikanern zu tun, mit denen wir nun reden würden.
    Was mich auf die Frage brachte, warum ich eigentlich einbezogen werden musste, warum Remlinger mich mitnahm und was es bedeutete, dass ich Teil der Situation wurde – eine Bezugsgröße, hatte Charley gesagt. In diesem Augenblick wandte sich Remlinger stirnrunzelnd um und spähte zum Badezimmerfenster hoch. Genau da verschwanden die großen Flocken und der kalte Regen einen Moment lang, wie ein Loch im Sturm, und machten mich sichtbar. Arthurs Mund bewegte sich, er sagte etwas, das wütend wirkte, und machte eine weit ausholende, winkende Bewegung – untypisch, ein Zeichen für mich –, dann sagte er noch etwas zu dem Mann mit der Mütze, der auch zu mir hochsah, aber sich nicht regte. Und schließlich drehte er sich um und ging über den Parkplatz hinaus ins Dunkel. Alles, worauf ich seit Wochen hätte achten sollen und was ich ignoriert hatte, schrie mir jetzt entgegen. Ich wünschte mir Florence herbei. Ich wünschte, ich hätte, als Charley es mir riet, mein Erspartes, das ich im Kissenbezug aufbewahrte, genommen und wäre mit dem Bus weit weggefahren, weit weg von Fort Royal und Arthur Remlinger. Ich wünschte sogar, ich hätte damals 20 Dollar von dem Geld, das ich Berner gegeben hatte, für mich behalten. Ich saß in der Falle und konnte mich nicht wehren. Ich zog mich vom Fenster zurück und ging die Treppe hinunter zu Remlinger, der mich erwartete.

64
    »Wenn jemand behauptet, dass etwas auf einer Lüge gründet, hat er damit eigentlich nicht sehr viel gesagt«, verkündete Arthur auf der Fahrt. Immer mehr dicke Flocken tanzten im Scheinwerferlicht, der Highway dehnte sich vor uns aus wie ein Tunnel. Er redete angeregt, als hätten wir eine höchst erheiternde Konversation. »Mich interessiert viel mehr, wie solche Lügen standhalten. Verstehst du?« Er sah mich an. Seine großen Hände mit dem Goldring lagen auf dem Steuerrad. Ich wusste, dass er weitersprechen wollte. Das Radio leuchtete im Dunkeln des Autos, aber der Ton war heruntergedreht. »Ob sie ein ganzes Leben lang standhalten. Tja …« Er streckte das Kinn vor. »Wo liegt der Unterschied? Ich sehe keinen.« Er betrachtete mich wieder. Er wollte meine Zustimmung. Unter der Krempe seines Filzhuts waren seine Züge schwer zu erkennen.
    »Nein, Sir«, sagte ich. Ich musste ja nicht aus tiefstem Herzen zustimmen.
    Wir fuhren nicht so schnell wie sonst. Er wollte offenbar reden, nicht Partreau erreichen.
    »Man kann nicht alles hinter sich lassen«, fuhr er fort. »Früher dachte ich das. Eine Grenze zu überqueren ändert eigentlich nichts. Man könnte genauso gut zurückgehen. Das würde ich an deiner Stelle auch tun. Jeder sollte eine zweite Chance bekommen. Ich habe ganz sicher einiges falsch gemacht. Haben wir beide.«
    Ich

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