Kanada
etwas Gutes und Richtiges werden kann, wenn wir für Klarheit sorgen, Mr Remlinger. Wir können hier keine Obrigkeit gegen Sie ins Feld führen. Wir sind in einem anderen Land. Das ist uns klar.«
»Vielleicht könnten Sie mir mal sagen, wovon Sie überhaupt reden. Ginge das?«, sagte Arthur und bewegte einen seiner Stiefel auf dem rissigen Linoleum. Seine Lederjacke knirschte wieder. Er hatte immer noch seinen Hut auf den dünnen blonden Haaren. In der engen Küche war keine Luft mehr.
»Ich glaube, Sie könnten Ihr Leben in Ordnung bringen, wenn Sie einfach offen mit uns reden würden«, sagte Crosley und nickte Arthur zu. »Als wir herkamen, wussten wir noch nicht, was wir tun würden. Wir wollen keine Scherereien. Wenn wir nur mit dem Wissen nach Hause kämen, was wirklich passiert ist, wäre das schon eine Menge.«
Remlinger zog mich näher an sich. »Wem oder was soll ich da zustimmen?«, fragte er. »Oder was müsste ich Ihnen sagen? Sie sehen doch, ich habe keine Ahnung. Ich bin ein Mensch ohne Geheimnis. Ich spiele auch niemand anderen. Meine Geburtsurkunde liegt im Gerichtsgebäude von Berrien County, Michigan, bei den Akten.«
»Das wissen wir«, sagte Crosley. Er schüttelte den Kopf und wirkte enttäuscht. »Aber Ihr Sohn sollte das nicht hören.«
»Wieso denn nicht?«, sagte Remlinger. Er hielt sie zum Narren. Das wussten sie. Das wusste sogar ich. Bestimmt wussten sie auch, dass ich nicht sein Sohn war.
»Sie können Ihr schlechtes Gewissen lüften«, sagte Jepps. Das war sein Wort: lüften . »Den Menschen, die ich verhafte – früher verhaftete –, ging es immer besser, nachdem sie sich offenbart hatten, auch wenn es ihnen Angst machte. Manchmal kam die Gelegenheit erst Jahre später, wie bei Ihnen. Wir werden nach Hause fahren, und Sie werden uns nie wiedersehen, Mr Remlinger.«
»Das täte mir aber leid, Sie nie wiederzusehen«, sagte Arthur und lächelte. »Nur, was gibt es zu offenbaren?« Bislang hatte noch niemand den Grund benannt, warum wir alle hier waren. Ich vermutete, dass keiner das vorhatte. Laut Charley fehlte den beiden Amerikanern die feste Überzeugung für ihre Mission, sie würden den Grund also wahrscheinlich nicht aussprechen. Remlinger sowieso nicht. Wir hätten in dem Moment gehen können und damit alles blockiert. Ein Patt. Weil keiner den Mumm hatte, die richtigen Worte zu sagen.
»Dass Sie eine Explosion verursacht haben …«, sagte Crosley abrupt und musste sich mitten in dem Satz, den ich ihm nicht zugetraut hatte und den er vielleicht sofort bedauerte, räuspern. »Und dass dabei ein Mann gestorben ist. Es ist lange her. Und wir sind …« Hier blieb ihm die Luft weg, als wäre das Ganze zu viel für ihn. Ich fand es schrecklich, diese Worte zu hören, aber ich wollte sie auch hören. Der enge Raum war von ihnen aufgeladen. Crosley wirkte wie ein Schwächling mit seiner Angst.
»Wir sind was?«, fragte Remlinger. Er war überheblich, als hätte er gerade einen großen Vorteil gegenüber Jepps und Crosley errungen und sie wären plötzlich, weil sie sich offenbart hatten, belanglos geworden. »Das ist lachhaft«, sagte Remlinger. »Ich habe nichts dergleichen getan.«
Als ich das Gewicht der Worte spürte, dachte ich: Hatten die beiden den Ermordeten überhaupt gekannt? Sie waren auf eine Ahnung hin angereist, mehr nicht, und hatten jetzt ohne große Überzeugung einen Mann des Mordes beschuldigt, den sie auch nicht kannten. Arthur Remlingers einzige Verbindung zu dem Verbrechen bestand darin, dass er es begangen hatte, allerdings – das war ihm selber wichtig – ohne es zu wollen, und er hatte mitnichten vor, sein Gewissen »zu lüften«. Ganz im Gegenteil.
Jepps und Crosley hatten vergessen, dass sie das alles nicht vor mir sagen wollten. Dabei wusste ich alles und war nicht schockiert, ich sah vermutlich auch nicht schockiert aus. Remlinger benahm sich nicht wie ein Mann, der nichts von einem Mord wusste, nur wie jemand, der das behauptete. Und das war es, wofür sie so weit hergefahren waren, das hatten sie sehen wollen. Als er sagte: »Ich habe nichts dergleichen getan«, kam das einem Geständnis gleich. Jeder von ihnen opferte etwas – eine Stärke –, um einen Vorteil auf dem Weg zum Ziel zu erringen. Remlinger hatte die Wahrheit gesagt, als er mir versprach, ich würde etwas Wertvolles lernen. Ich lernte, dass Worte und Gedanken zu handfesten Taten werden können.
»Wir dachten, am besten gehen wir ehrlich mit der Sache um«, sagte Jepps.
Weitere Kostenlose Bücher