Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
Vom Netzwerk:
ihm herzlich egal. Wenn die Menschen nicht dort sind, wo sie hingehören, passiert etwas, nach diesem Prinzip bewegt sich die Welt vor und zurück. Andere Menschen waren zum größten Teil totes Gewicht für ihn, so tot wie die Amerikaner, die wir an dem Abend in Charleys Truck hievten, während Remlinger im Schneetreiben stand, ein Zigarettenglimmen in der Dunkelheit, und uns zusah. All das zusammengenommen ergibt schon das Maximum an Sinn in dieser Geschichte, mehr ist nicht drin.

67
    Man könnte meinen, der Abtransport der beiden Leichen aus dem Überlaufhaus auf die Ladefläche des Pickup wäre das denkwürdigste Ereignis dieses Abends und vielleicht die denkwürdigste Handlung, die ein Mensch je ausführt – das plötzliche tote Gewicht, während lebendige Körper kein Gewicht zu haben scheinen; wie schrecklich das ist; die Erkenntnis, was für eine Veränderung der Tod darstellt. Ich war ja derjenige, der Jepps’ Toupet vom Linoleum aufhob, wo es in seinem dicken, trocknenden Blut lag. Und daran erinnere ich mich am lebhaftesten – wie unstofflich und leicht dieses seltsame, blutgetränkte Haardeckelchen war. Ich weiß nicht mehr, wie die Leichen aussahen oder rochen oder ob sie schlaff waren oder starr, ob man Spuren der auf sie abgefeuerten Kugeln sah oder Schießpulver in dem kleinen Raum roch (der davon erfüllt gewesen sein muss), nicht einmal mehr, ob wir sie wie schwere Bündel raustrugen oder an Händen oder Füßen schleiften wie die Kadaver, zu denen sie geworden waren.
    Ich weiß allerdings noch sehr genau, wie schnell das Schießen und Töten vonstatten gegangen war, völlig undramatisch, anders als im Film. Es passierte urplötzlich – fast als wäre es nicht passiert. Nur dass dann jemand tot war. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich in dem Raum gewesen, als es geschah, nicht im Auto. Aber das stimmt nicht.
    Ich erinnere mich an Arthur Remlingers Gesichtsausdruck, kurz nachdem die Schüsse gefallen waren, wie er mit den beiden Toten sprach – seine missbilligende Miene –, und dann an den Blick, den er mir und meiner Entgeisterung durch die offene Tür zuwarf. Dieser Blick (so glaubte ich damals) besagte, er würde auch mich töten, wenn es ihn so ankäme, nur damit ich’s wisse. Mord stand ihm doch ins Gesicht geschrieben, jener Blick, den Jepps und Crosley gesucht und erst in ihren letzten Sekunden gesehen hatten.
    Ich weiß noch, als die Schüsse fielen und Remlinger zu mir schaute, während er sagte, was immer er sagte, da blickte ich – instinktiv – in die entgegengesetzte Richtung. Ich wandte meinen ganzen Körper vom Fenster ab und sah durch das andere Autofenster Charley Quarters, der, von hinten beleuchtet, in seiner Trailertür stand. Er trug nur Unterhemd und Unterhose, trotz der Kälte. Er lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete die Szene. Vielleicht hatte er alles gewusst und wartete jetzt nur darauf, welche Aufgaben ihm zugeteilt wurden.
    Und schließlich weiß ich noch, dass wir, als wir sie begruben – ohne Kleider, alles, was ihnen gehörte, für die Verbrennung in Charleys Ölfass bestimmt, die Pistolen und Ringe für den South Saskatchewan River –, sie in ihre Löcher hineinfalteten, die tief genug waren, dass weder Kojoten noch Dachse an sie herankamen. Es war relativ einfach. Ich stand über ihnen und sah nach unten – jeder Mann lag in seinem eigenen Loch, ein paar Meter auseinander – und dann hinaus in die dunkle Prärie, über der eine Gans am Schneehimmel flog und ihren typischen Schrei ausstieß. Und auf einmal sah ich – zu meiner Überraschung, aber eindeutig – das rote Leonard-Schild in der Nacht leuchten, wo Fort Royal lag, näher, als ich gedacht hätte. Der Butler, der das Glas Martini serviert. Einen Moment lang schien es, als wäre nichts passiert.
    Kann ich von der Wirkung, die es auf mich hatte, die Ermordung der beiden Amerikaner mit anzusehen, überhaupt sprechen? Ich muss die Worte dafür erfinden, denn die tatsächliche Wirkung war Stille.
    Man könnte meinen, dass ich im Lauf der Jahre viel über Arthur Remlinger nachgedacht habe, dass er ein Rätsel war, eine Figur, deren ausgiebige Ergründung sich lohnte. Doch weit gefehlt. Er war keineswegs ein Rätsel. Eine Zeitlang hatte ich ihm Bedeutsamkeit zugeschrieben, eine Vielschichtigkeit, die über die bloßen Tatsachen hinausging. Doch das hatte er nicht zu bieten, es sei denn, als Ursache für den Tod dreier Männer. Er wünschte sich Bedeutsamkeit, ohne Zweifel (Harvard, zum

Weitere Kostenlose Bücher