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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Zwangslage, die er hätte erwarten können und für die er hätte Vorkehrungen treffen müssen. (Zum Beispiel, indem er dabei gewesen wäre, wenn das Fleisch übergeben wurde; oder indem er stets genug Bargeld in der Tasche gehabt hätte, um für eine Lieferung zu bezahlen, falls irgendetwas schiefging.) Doch in dem Moment hatte er, um den Deal zu sichern, nur das bisschen Geld zur Verfügung, das von seiner monatlichen Air-Force-Pension übrig war, die kleine Summe, die meine Mutter vom Unterrichten in Fort Shaw auf die hohe Kante gelegt hatte, und unseren Chevrolet. Unsere Eltern hatten nichts für Notfälle, und diese Situation war ein Notfall. Sie hatten nie ein Girokonto gehabt, noch nicht einmal das. Sie bezahlten alles in bar.
    Am nächsten Morgen – Sonntag – tauchte Mouse alias Williams bei uns auf, stand mit unserem Vater im Garten und sagte, was er sagte. Eine Morddrohung, die unser Vater sehr ernst nahm. Williams betonte außerdem, dass er und seine Kollegen ein größeres Risiko eingegangen waren, um vier Kühe statt einer zu stehlen, das Schlachten und Liefern waren ebenfalls aufwändiger und gefährlicher gewesen, und obendrein hatte der Schwarze Digby ihnen ins Gesicht gelacht, als sie 600 Dollar statt der üblichen 400 verlangten. Bei diesem Gespräch erfuhr mein Vater auch, dass einer von Williams’ Kollegen eben wegen des Rinderdiebstahls unter polizeilicher Überwachung stand und Geld brauchte, um sich ein paar Monate in Wyoming zu verstecken. Aus diesen Gründen verlangte Williams jetzt 2000 Dollar für sich und seine Freunde, nicht 600 oder bloß die 400, auf die sie sich geeinigt hatten. Wo die Zahl 2000 herkam, erläuterte er nicht.
    Unser Vater war es nicht gewohnt, bedroht zu werden. Er war es gewohnt, gut mit den Leuten auszukommen, sie zu unterhalten, wegen seines Aussehens, seiner Umgangsformen und seines Südstaatenakzents bewundert zu werden und wegen seiner tapferen Bombenschützeneinsätze im Krieg. Eine Morddrohung beeindruckte ihn zutiefst. Er fing sofort an zu grübeln und zu brüten, wie er an das Geld kommen könnte, und kam sehr schnell auf die außergewöhnliche Idee, eine Bank zu überfallen. Das muss ihm in diesem Augenblick besser vorgekommen sein, als sich und meine Mutter und uns Kinder von Indianern umbringen zu lassen oder uns alle drei mitten in der Nacht in den Bel Air zu packen, alles stehen und liegen zu lassen und spurlos zu verschwinden. Andere Möglichkeiten, an das Geld zu kommen, es sich zum Beispiel zu leihen (er bekam keinen Kredit, seine Schwiegereltern mochten ihn nicht, er hatte kein festes Einkommen und nichts Beleihbares) oder die Situation anders aufzulösen, indem er etwa zur Polizei von Great Falls ging oder Williams gut zuredete, das fiel ihm entweder nicht ein oder musste in seiner Einschätzung zu noch größeren Problemen führen. Später, als er vielleicht darauf kam, zur Polizei zu gehen und auf ihre Gnade zu hoffen, hatte er schon beschlossen, dass der Banküberfall eine gute Idee sei, und dabei blieb es.
    Als meine Mutter im Zuchthaus für Frauen in Bismarck, North Dakota, saß, wo man sie nach ihrem Prozess inhaftiert hatte, schrieb sie über die Tage vor und nach Williams’ Besuch in ihrer Chronik und schilderte in allen Details, was sie und mein Vater taten. Sie hatte dichterische Ambitionen gehabt, als sie auf dem College in Walla Walla war, und vielleicht glaubte sie, eine gut geschriebene Version ihrer Geschichte könne ihr eine Zukunft bieten, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen würde – wozu es nie kam. In ihrer Chronik äußert sie sich sehr kritisch über unseren Vater und seine Schwächen. Sie sucht keine Entschuldigungen für sich oder plädiert auf geistige Umnachtung oder auf erzwungene Beihilfe, sie versucht nicht einmal zu erklären, wie sie dazu überredet wurde. (Allerdings drückt sie ihren Kummer darüber aus, was mit meiner Schwester und mir passierte.) In ihrem Text äußert sie die Meinung, sie sei genau so, wie sie sich immer gesehen habe – nachdenklich, klug, einfallsreich, vielleicht skeptisch und fremdelnd, aber doch fürsorglich und heiter (das war sie nicht). Ihr Wertesystem habe sie dazu gebracht, Berner und mich an allzu großer Anpassung zu hindern, wo immer wir durch die dienstlichen Versetzungen meines Vaters hinkamen. Diese Orte, meinte sie, würden »verwässern und verderben«, was gut und bedeutsam an uns sei, und uns zu gewöhnlichen Menschen machen, typisch für Mississippi, Texas, Michigan,

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