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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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du und Mutter. Ich wollte das nicht hören.
    »Ich gehe auf Geschäftsreise.« Er spielte weiter mit seinem Beutel.
    »Kommst du zurück?«
    »Ja natürlich«, sagte er. »Warum? Möchtest du mitfahren?«
    Plötzlich stand unsere Mutter neben mir in der Tür, ihr Buch fest in der Hand. Sie berührte mich an der Schulter und packte sie. Obwohl sie nicht groß war, konnte sie fest zupacken. »Er fährt nicht mit«, sagte sie. »Er kann sich hier für unser Land nützlich machen.« Sie schob mich beiseite, schlüpfte ins Schlafzimmer und schloss die Tür. Ich hörte einen erregten Wortwechsel, aber sie flüsterten, weil sie wussten, dass ich lauschte. »Du kannst nicht … du kannst unter gar keinen Umständen …«, sagte sie. Und er sagte: »Oh, Himmel noch mal, verdammte Scheiße. Wir reden nachher drüber.« (Er fluchte sehr selten, ebenso wenig wie sie. Berner schon. Sie hatte es von Rudy gelernt.) Ich fand es schockierend, dass er so mit unserer Mutter sprach.
    Ich fürchtete, sie könnte die Tür aufreißen und mir böse sein, weil ich gelauscht hatte, deshalb ging ich in mein Zimmer zurück und setzte mich vor mein grün-weißes Schachbrett. Hinter den Reihen der weißen Spielfiguren, die mit ihren definierten Funktionen meinen Kampfbefehl erwarteten, wurde ich ruhig.
    Eine Weile später ging mein Vater durch die Haustür, in der Hand seinen Leinwandbeutel mit der Pistole darin, und stieg ins Auto. Er hatte mir nicht gesagt, was für eine Geschäftsreise das war, hatte sich noch nicht einmal verabschiedet. Ich hatte den Verdacht, dass das Geschäft nichts mit dem Verkauf von Farmen und Ranches zu tun hatte, sondern mit dem Indianer, der zu uns gekommen war. Jedenfalls wusste ich, dass es wichtig sein musste, sonst wäre er nicht hastig aufgebrochen. Ich hatte das Gefühl, etwas war nun in unser Leben getreten, das es vorher nicht gegeben hatte.

10
    In den nächsten Tagen war mein Vater im Osten Montanas und im Westen North Dakotas unterwegs (Gegenden, wo er noch nie gewesen war), um nach einer Bank zu suchen, die er überfallen konnte. Er wollte nicht sofort eine Bank überfallen, sondern nach ganz bestimmten Kriterien eine Stadt und eine Bank aussuchen, dann zurück nach Great Falls fahren, kurz wieder ins Familienleben eintauchen und ein paar Tage später die Bank seiner Wahl überfallen. Dieser Plan erschien ihm weniger überhastet und auch durchdachter, zugänglicher für Korrekturen oder sogar Abbruch. Das Gegenteil davon sah so aus, dass die Handlungen der Menschen aus dem Ruder liefen und sie selbst hinter Gitter kamen.
    Natürlich ist das eine eigenartige Vorstellung: Man überholt ein Auto auf einem verlassenen ländlichen Highway; man sitzt in einem Diner neben einem Mann und pflegt den Gedankenaustausch; man wartet hinter einem anderen Kunden, der gerade in ein Motel eincheckt, einem freundlichen Mann mit gewinnendem Lächeln und funkelnden nussbraunen Augen, der einen gern an seiner Lebensgeschichte teilhaben lässt und gemocht werden will – eigenartiger Gedanke, dass dieser Mann mit einer geladenen Pistole durch die Gegend fährt und hin und her überlegt, welche Bank er demnächst überfällt.
    Die Indianer machten meinem Vater zwar Angst, doch ich glaube, nachdem er die lange Fahrt gen Osten in die weiten, wüsten Teile Montanas, die sich bis hin nach North Dakota erstreckten, hinter sich gebracht hatte, Banken und Städte gemustert, über mögliche Verstecke nachgedacht, die Anzahl der Staatscops und Hilfssheriffs, an denen er vorbeifuhr, registriert und festgestellt hatte, wie weit eine Bank jeweils von der Staatsgrenze entfernt lag (für ihn als Südstaatler hatten Staatsgrenzen eine größere Bedeutung als für die Menschen anderswo), nachdem er all das getan hatte, kam ihm die Idee des Banküberfalls allmählich, wenn nicht vernünftig, so doch akzeptabel vor und versetzte ihn erstaunlich wenig in Sorge. Ich schließe das aus seinem Verhalten, als er zwei Tage später nach Hause kam – selbstbewusst und voller Schwung, wieder in Hochstimmung –, so als hätte sich ein ernstes Problem, das ihn noch bei der Abfahrt plagte, mittlerweile als das einfachste auf der Welt entpuppt. So pflegte er immer seine Schwierigkeiten herunterzuspielen. Dass er die Dinge unbekümmert anpackte, schließe ich außerdem daraus, dass er tatsächlich eine Zeitlang erwog, ich solle ihn bei dem Überfall begleiten. Er ging nicht so weit, es mir direkt vorzuschlagen. Ich erfuhr es später, aus der Chronik meiner

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