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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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nicht bemerkt, wann mein Vater in der Nacht nach Hause gekommen war. Er war am Sonntagmorgen einfach da, in seinen Bermudas, vorm Fernseher. Das Telefon läutete mehrere Male. Ich ging zweimal dran, aber am anderen Ende war niemand – was nicht so selten vorkam. Keiner ließ sich anmerken, dass irgendetwas womöglich seltsam war. Meine Mutter ging auf ihren Spaziergang in die Stadt. Mein Vater sah den Presse-Club . Er interessierte sich für die Wahlen und glaubte, die Kommunisten würden Afrika übernehmen, aber Kennedy würde es verhindern. Berner und ich gingen in den heißen sonnigen Garten hinaus und veränderten die Position der Pfosten für das Badminton-Netz, damit wir mehr Platz zum Spielen neben dem Haus hatten. Es war ein angenehmer, leerer Morgen. An der Seite der Garage blühten die Malven. In Great Falls gab es nichts zu tun.
    Um elf fingen die Zion-Lutheraner, schräg gegenüber neben dem Park, wie üblich mit ihrem Glockengebimmel an und empfingen die Leute. Autos und Pickups kamen angefahren und parkten am Bordstein auf der anderen Straßenseite. Familien mit Kindern schritten auf das graue Holzgebäude zu und verschwanden darin. Ich beobachtete sie gern von der Hollywoodschaukel aus. Sie hatten immer gute Laune und unterhielten sich und lachten über Themen, die sie interessierten und über die sie, wie ich annahm, einer Meinung waren. Einmal war ich an einem Wochentag hinübergelaufen, um durch die Türen hineinzuspähen und zu sehen, was es zu sehen gab. Aber die Türen waren abgeschlossen, niemand da. Das graue Schindelhaus kam mir vor wie ein Laden, der dichtgemacht hatte.
    Und genau als die Glocke der Lutheraner zu läuten anfing, fuhr ein altes Auto vor unserem Haus vor und hielt. Ich hielt den Fahrer für einen der Lutheraner und dachte, gleich würde er aussteigen und zur Kirche hinübergehen. Aber er saß einfach nur in dem schlampig rotlackierten Plymouth und rauchte, als warte er darauf, dass etwas oder jemand von ihm Notiz nähme. Das Auto stammte aus den vierziger Jahren und war schlammbespritzt und verbeult und kam mir aus irgendeinem Grunde bekannt vor – obwohl ich nicht hätte sagen können, warum. Eines der hinteren Seitenfenster war ausgeschlagen, die Reifen passten nicht zueinander, und hinten fehlte eine Radkappe. Es hatte schon mehrere Unfälle hinter sich und wirkte vor unserem Haus fehl am Platz, hinter dem glänzenden, sauberen Bel Air unseres Vaters.
    Nachdem der Mann eine Zeitlang dagesessen und geraucht hatte – Berner und ich beobachteten ihn vom Badminton-Netz aus, unsere Schläger in den Händen –, drehte er sich zu unserem Haus um und stieg dann plötzlich aus, was der Tür auf der Fahrerseite ein Scheppern entlockte, bevor er sie zuknallte.
    Fast im selben Augenblick kam mein Vater zur Haustür heraus, immer noch in seinen Bermudas, und betrat den Betonweg zur Straße, als habe er die ganze Zeit darauf gelauert, ob der Mann wohl aussteigen würde. Nun, da er es getan hatte, musste augenblicklich etwas geschehen.
    Wir hörten beide unseren Vater sagen: »Okay. Hey. Hey-hey-hey-hey«, während der Mann langsam den Weg hochkam. »Sie müssen jetzt nicht hier ankommen. Das ist mein Zuhause«, sagte er. »Das kriegen wir klar.« Am Schluss lachte unser Vater, aber witzig war da nichts.
    Der Mann stand einfach auf dem Betonweg, hielt sein Kinn dramatisch gesenkt und starrte unseren Vater an. Er wich nicht zurück, als unser Vater sich näherte und wieder »Hey-hey-hey-hey« sagte; er streckte ihm nicht die Hand entgegen; er lächelte nicht, als gäbe es irgendwas Witziges. Er war angezogen, als käme er aus der Kälte. Er trug eine dicke dunkelbraune Wollhose und abgewetzte braune Schuhe ohne Strümpfe, dazu eine hellrote Strickjacke über einem schmutzigen grauen Sweatshirt. Ein seltsamer Aufzug für August.
    Beim Aussteigen hatte er Schmerzen in den Beinen gehabt, ganz eindeutig. Er musste mit Hilfe der Schultern manövrieren, und die Knie zeigten nach innen. Er war kein fülliger Mann – kleiner als unser Vater –, aber er war schwer, als ob seine Knochen lästig und kaum beweglich wären. Er hatte einen üppigen langen Schopf fettiger schwarzer Haare, die er hinten zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, und trug eine dicke Brille mit schwarzem Gestell. Seine Haut sah irgendwie orange aus, aufgeraut von Akneplacken, und er trug ein Pflaster am Hals. Mit seinem fipsigen Goatee hätte er fünfzig sein können, war aber vermutlich jünger. Er war eine

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