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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Ohio, Gegenden, die sie abschätzig als unaufgeklärt betrachtete. Solche Wörter benutzt sie in ihrer Chronik: verwässern, fürsorglich, fremdelnd, schal, verderben. Sie fand, unser Vater und sie hätten niemals heiraten sollen: Sie hätte vorhersehen müssen, dass sie beide anders glücklicher geworden wären. In dem Zusammenhang kam auch eine Ehe mit einem College-Professor, ein Leben als Dichterin und Ähnliches mehr vor. Sie sagt, in dem Augenblick, als das Thema Raubüberfall aufkam, hätte sie ihn verlassen müssen, da sie ohnehin schon daran gedacht hatte. Nur dass sie etwas Neues über sich herausfand, schrieb sie. Nicht nur, dass alles, was sie über sich wusste (wenn sie in den Spiegel sah und erkannte, wie ungewöhnlich sie war), zutraf, sondern dass sie außerdem schwach war. Das hatte sie sich noch nie überlegt, es erklärte aber wohl, warum sie den lächelnden, gutaussehenden, romantischen Bev Parsons geheiratet hatte. (Sie war schwanger, aber das hätte sich regeln lassen, das konnten Studentinnen auch in den vierziger Jahren schon.) Weil sie schwach war, hatte sie Bev nicht schon vor langem verlassen und uns mitgenommen. Die Ereignisse bestätigten ihr nun, dass sie genauso war wie jeder andere, und das brachte sie (in ihrer hirnrissigen Logik) unweigerlich dazu, eine Bank zu überfallen. Sie hielt sich nicht etwa für eine Kriminelle. Nie. Ihre Eltern hatten sie nicht dazu erzogen, so etwas denken zu können (das mag damit zu tun haben, dass sie als Jüdin an einem Ort aufwuchs, wo es keine Juden gab, und immer ein Gefühl von Besonderheit behielt, das es nicht zuließ, die Ansichten und Vorbehalte anderer zu übernehmen, so vernünftig diese sein mochten).
    Mir ging eines durch den Kopf – und zwar, als Berner und ich in unserem Haus waren und unsere Eltern in ihren Zellen im Gefängnis von Cascade County saßen –, nämlich wie jung unsere Eltern waren. Erst siebenunddreißig und vierunddreißig. Und dass sie nicht die Sorte Mensch waren, die Banken überfallen. Aber da sehr wenige Leute so etwas unternehmen, sind die wenigen, die es tun, wohl auch irgendwie dafür bestimmt, egal wie sie sich einschätzen oder wie sie erzogen wurden. Ich kann nicht anders denken, sonst würde mich das Tragische daran restlos überwältigen.
    Obwohl es schon komisch ist, die eigenen Eltern so zu sehen – dass sie schon immer zu der Sorte Mensch gehörten, die zu Kriminellen werden. Es ist wie ein umgekehrtes Wunder. Ich glaube, das meinte meine Mutter, als sie schrieb, sie sei »schwach«. Für sie könnten diese beiden Wörter – kriminell und schwach – dasselbe bedeutet haben.

9
    Als es Montagmorgen wurde, hatte sich entschieden etwas im Haus verändert. Große Ereignisse spielten sich ab – größer als die Entlassung meines Vaters aus der Air Force oder als der nächste Umzug in eine neue Stadt. Unsere Eltern waren am Vorabend bis tief in die Nacht hinter verschlossener Tür in ihrem Zimmer geblieben, und ich wusste, sie hatten sich gestritten. Ich bekam mit, dass er fest entschlossen war, etwas zu tun, womit sie nicht einverstanden war. Ich hörte, wie die Schranktür ein paarmal zuknallte und meine Mutter sagte: »Das ist das letzte Mal, dass …« Und: »Du wirst ihn nicht dazu kriegen, dass …« Und: »Das ist das irrsinnigste …« Jedes Mal setzte ihre Stimme laut ein und verebbte rasch, so dass ich den Schluss nicht verstand. Dreimal ging mein Vater aus dem Schlafzimmer hinaus auf die vordere Veranda (ich hörte seine Stiefel auf den Dielenbrettern). Jedes Mal kam er wieder herein, die Tür schloss sich, und sie redeten weiter. »Meinst du, wir hätten eine andere Wahl?«, sagte er. Und: »Du bist bei so etwas immer zu ängstlich.« Und: »So wird man jedenfalls nicht erwischt.« Nach einer Weile wechselten sie nur noch wenige Worte. Dann versickerte auch das. Ich verließ mein Zimmer und holte mir in der Küche, wo Licht brannte, ein Glas Wasser. Ein Streifen Orange schien unter ihrer Tür durch. Als ich mich wieder ins Bett legte, war Berner da. Sie sagte nichts. Sie lag nur atmend da, eiskalt, das Gesicht zur Wand, an der meine College-Wimpel hingen. Das hatten wir nicht mehr gemacht, seit wir in Great Falls lebten – als Kinder hatten wir allerdings zusammen geschlafen, in kleineren Häusern. Mit ihr im Bett fühlte ich mich nicht wohl. Aber ich wusste, dass sie nicht gekommen wäre, wenn es nicht wichtig gewesen wäre, und dass sie gelauscht hatte wie ich. Sie roch nach Zigaretten und

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