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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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sehr bedrängende und unerwartete Präsenz in unserem Vorgarten und wirkte, als fühle er sich extrem unwohl dort. So weit Berner und ich auch weg standen, beim Badminton-Netz, ich konnte doch einen Geruch an ihm wittern – einen Fleischgeruch und zugleich einen medizinischen. Nachdem er gegangen war, roch unser Vater genauso.
    Als der Mann den Handschlag verweigerte und auch keinen Schritt zurück machen wollte, legte unser Vater ihm eine Hand auf die Schulter und trat nah an ihn heran, um ihn umzudrehen. Und sie fingen an zu reden und auf den Plymouth zuzugehen, nicht zum Haus. Doch irgendwann machte der Mann plötzlich einen Schritt zur Seite, auf das Gras, und befreite sich vom Griff unseres Vaters. Er wandte den Blick ab – er sah nicht zu Berner und mir, sondern weg von unserem Vater, als wolle er ihn oder uns nicht anschauen. Dann sprach er, wir konnten es beide hören. »Das könnte richtig übel für alle ausgehen, Cap«, sagte er. »Cap« war unser Vater bei der Air Force genannt worden. Der Mann ließ seinen Blick zurückwandern und konzentrierte ihn auf meinen Vater. Dann sagte er noch etwas, halblaut, als wüsste er, dass Berner und ich zuhörten, und wollte nicht, dass wir es mitbekamen. Nachdem er gesprochen hatte, verschränkte er die Arme, lehnte sich zurück und setzte einen Fuß vor den anderen, wie ich es noch nie gesehen hatte. Als wollte er seinen eigenen Worten dabei zusehen, wie sie von ihm wegschwebten.
    Unser Vater fing an zu nicken und steckte beide Hände in die Hosentaschen seiner Bermudas – ohne ein Wort, er nickte nur. Der Mann sprach immer bestimmter und schneller, gedämpft zwar, aber ich konnte das Wort »Sie« verstehen, mit Nachdruck gesprochen, und dann »Risiko« und »Bruder«. Unser Vater sah auf seine Gummilatschen hinunter und seine nackten Füße, schüttelte den Kopf und sagte: »Nein-nein-nein-nein«, in einem Ton, als wäre er völlig einverstanden mit dem, was er hörte, obwohl die Worte das Gegenteil auszudrücken schienen. Dann sagte er: »Entschuldigung, aber das ist überzogen«, und dann: »Ich verstehe. Na schön.« In dem Moment verließ die Anspannung seinen Körper, so als wäre er erleichtert oder aber enttäuscht. Und der Mann – wir fanden später heraus, dass er Marvin Williams hieß, genannt »Mouse«, und ein Cree war – wandte sich einfach ab, ohne ein abschließendes Wort, stakste in seinem schmerzhaften, schultermanövrierenden, x-beinigen Gang zurück zu seinem Plymouth, knallte die Tür auf und zu, startete lärmend den Motor und fuhr ohne einen weiteren Blick zu unserem Vater weg, ließ ihn einfach auf dem Betonweg stehen, in Shorts und Sandalen, und ihm nachstarren. Die Kirchenglocke der Lutheraner läutete wieder – der letzte Ruf zum Gottesdienst. Ein Mann in hellgrauem Anzug schloss die beiden Eingangstüren. Er schaute zu unserem Haus herüber und winkte, aber unser Vater sah ihn nicht.
    Am späten Vormittag kam unsere Mutter von ihrem Spaziergang zurück und bereitete Blinis zu – unser Lieblingsessen. Am Tisch sagte unser Vater nicht viel. Er erzählte einen Witz über ein Kamel mit drei Höckern, das Muh machte. Er sagte, Berner und ich müssten lernen, wie man Witze erzählt, weil uns dann die Leute gern um sich hätten. Nachher gingen er und meine Mutter ins Schlafzimmer, schlossen die Tür und blieben sehr lange drin – länger noch als im Badezimmer am Vorabend. Bevor meine Mutter heimkam, hatte mein Vater seine Latschen ausgezogen und im Garten Badminton mit uns gespielt – wir beide gegen ihn. Er hüpfte herum, schwitzte auf der Oberlippe und kam außer Puste, versuchte mit viel Schwung den Federball zu treffen und lachte und hatte großen Spaß. Es war, als könnte das Leben nicht besser sein und als hätte der Besuch des Indianers nichts Wichtiges zu bedeuten. Berner fragte nach seinem Namen, so erfuhren wir, dass er Marvin Williams hieß und ein Cree war. Er sei ein »Geschäftsmann«, sagte mein Vater, »anständig, aber anspruchsvoll«. Es gab einen Augenblick in unserem Spiel, da stand er einfach nur in dem warmen Gras, die Hände in den Hüften, lächelnd, mit rotem Gesicht, und schwitzte. Dann holte er tief Luft und sagte, bald würde alles besser werden, das glaube er, für uns alle. Wir würden vielleicht nicht unbedingt in Great Falls bleiben, sondern in eine interessantere Stadt umziehen, die er noch nicht nannte – was mich erschreckte und sofort alarmierte, denn bis zum Schulanfang waren es nur noch ein paar

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