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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Mutter, aber damals hatte ich auch einige hinter verschlossenen Türen fallende Worte darüber gehört, die ich nicht ganz verstand: dass ich seiner Meinung nach ein überzeugender Komplize sein könnte. Meine Mutter (seine andere Wahl) wäre dagegen sofort erkennbar gewesen, fand er, wegen ihres fremdländischen Äußeren, ihrer kleinen Statur und ihres meist unfreundlichen Auftretens – ein Risiko. Er wollte einen sympathischen Bankraub begehen. (Ich bin mir sicher, dass sein Wunsch, mich als Komplizen zu haben, letztlich für sie den Ausschlag gab, selbst mitzukommen – und etwas zu tun, das ihr nicht fremder hätte sein können.)
    Ich wusste von Äußerungen meines Vaters, dass er schon seit langem über Bankraub nachdachte – hatte das aber nie ernst genommen. Die Chronik meiner Mutter macht deutlich, dass er sich nie genauer mit der Möglichkeit, erwischt zu werden, auseinandersetzte – das würde nicht passieren, dafür war er zu schlau. Außerdem fand er, eine »nationale Bank« zu überfallen sei »ein Verbrechen ohne Opfer«, denn solange man weniger als 10000 Dollar erbeutete (er kriegte längst nicht so viel), würde die Bundesregierung, so glaubte er, dafür bürgen, dass kein Sparer sein Geld verlor. Er verließ sich eben sehr auf die Regierung, was auf die Zeiten des New Deal und der Elektrifizierung ländlicher Gegenden zurückging und während seiner Jahre im Dienst der Air Force anhielt, als er sich um nichts kümmern musste und auf alles Mögliche Anspruch hatte. Heute würde man sagen, er war sein Leben lang ein Demokrat (und kein Republikaner).
    Was das Erwischtwerden anging, konnte er sich, nachdem er den öden, leeren, ungeselligen, armen Osten Montanas und den Westen der Dakotas gesehen hatte, nicht vorstellen, dass er irgendjemandem auffallen würde, vor allem, wenn meine Mutter nicht dabei war und Aufmerksamkeit auf sich zog. Er würde als freundlicher, diskreter Mann mit seinem Sohn unterwegs sein, in Kleidern, an die man sich nicht erinnerte, und einem Auto, an das man sich nicht erinnerte (er hatte vor, ein North-Dakota-Nummernschild zu stehlen, damit auch sein Chevrolet nicht auffiel). Er wusste, so wie er sah niemand aus, der eine Bank überfallen würde. Und könnte daher eine überfallen, ohne Maske oder Verkleidung. Er würde es schnell erledigen, in das trockengebackene, menschenarme Umland zurückkehren und abends wieder in Great Falls sein. Und keiner hätte ihn bemerkt.
    Was gar nicht so abwegig ist – je nachdem, für wen. Der Sheriff von Cascade County, wo Great Falls liegt, sagte später, nachdem unsere Eltern verhaftet worden waren, der Tribune , dass viele Leute glaubten, in Montana könne man leicht ungestraft einen Raubüberfall begehen – und deshalb geschähen auch so oft welche (auch das wusste mein Vater nicht). Die Leute meinten, so der Sheriff, nach der Tat würden sie vom leeren Raum verschluckt und niemandem auffallen, weil ohnehin so wenig Menschen da seien, denen etwas auffallen könnte. In Wirklichkeit, sagte er, falle ein Bankräuber in Montana immer auf. Schließlich sei er der Einzige, der dieses Verbrechen begangen habe – und daher allein auf weiter Flur. Wohingegen die meisten anderen ziemlich gut wüssten, dass sie unschuldig seien. Bei meinem Vater kam noch hinzu, dass ein freundliches Gesicht jedem auffallen musste, weil es dort auch mit großem Glück nur wenige davon gab.
    Meiner Mutter muss all das ganz klar gewesen sein. Als mein Vater am Montagmorgen in seinem blauen Overall mit der geladenen Pistole wegfuhr, so voller Angst, wir könnten alle umgebracht werden, dass er eine Bank überfallen musste, da verhielt sich meine Mutter auf der Stelle so, als stünden große Umwälzungen in unserem Leben an. Sie setzte uns alle drei daran, das ganze Haus zu putzen – worauf sie normalerweise nie groß achtete, weil wir immer zur Miete wohnten, wo es nach Gas und Kanalisation roch und nie sauber war, wenn wir einzogen. Sie setzte ein rotes Kopftuch auf, mit dem sie ihre Haare zu einem Büschel zurückband, zog eine alte Baumwollhose an, die sie hochkrempelte, sowie ein Paar schwarze Gummihandschuhe, um ihre Fingernägel zu schonen, und fing an, den Küchenboden und die Badezimmerkacheln zu schrubben, die Schränke auszuwischen und die Fenster zu putzen, das Geschirr auszuräumen und die Einlegeböden mit Scheuermittel zu reinigen. Berner und ich bekamen den Auftrag, Böden und Türen und Holzverkleidung und Schrankecken und Fensterrahmen in unseren

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