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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Zimmern mit Seife und alten Lumpen zu säubern und die Fensterscheiben mit Essig, wovon meine Hände trocken wurden und sauer rochen. Sie sagte, wir sollten unsere Schränke durchgehen, was wir zur Kleidersammlung von St. Vincent de Paul geben könnten, und die Sachen auf der geschlossenen hinteren Veranda neben meinem Fahrrad abholbereit aufstapeln. Ich wurde die Dachbodentreppe hochgeschickt, falls wir dort etwas vergessen hatten, das man wegwerfen konnte. Oben stand die Hitze, es war dunkel und roch nach Moder und Mottenkugeln und war staubig und schmierig, und da mir die Gefahr von Klapperschlangen und Giftspinnen und Hornissen, die ihre Nester in den Dachbalken hatten, deutlich vor Augen stand, war ich schnell mit leeren Händen wieder unten.
    Als wir unsere Mutter fragten, warum wir alles putzen müssten, sagte sie, wenn unser Vater von seiner Geschäftsreise zurückkomme, würden wir Great Falls vermutlich verlassen und das Haus an Bargamian übergeben müssen, den Besitzer, der in Butte wohnte. Er hatte unsere Kaution, die sich meine Mutter zurückgeben lassen wollte. (Mein Vater sagte immer, Bargamian sei »einer von ihrem Stamm«. Aber unsere Mutter verbesserte ihn, er sei Armenier und gehöre zu einem Volk von Opfern.)
    Sie sagte nicht, wohin es diesmal gehen sollte. Aber da wir am Sonntagmorgen von unserem Vater dasselbe gehört hatten, glaubte ich ihr – und fürchtete um meinen Schulanfang in zwei Wochen.
    In den nächsten Tagen, während mein Vater weg war, klingelte mehrfach das Telefon, und ich sprang immer sofort hin, in der Hoffnung, er wäre dran. Aber es meldete sich niemand. Schließlich ging meine Mutter an den Apparat und sagte: »Was wollen Sie? Wer ist da?« Am anderen Ende blieb es still, und dann war die Leitung unterbrochen.
    Mindestens viermal sah ich, wenn ich in diesen Tagen zufällig aus einem der vorderen Fenster schaute, eines von zwei Autos langsam an unserem Haus vorbeifahren. Das eine war der schrottige rote Plymouth, mit dem Mouse am Sonntag hergekommen war. Wobei nicht er ihn diesmal fuhr, sondern ein anderer, jüngerer Mann, nicht unbedingt ein Indianer. Das andere Auto sah noch schlimmer aus – ein brauner Kombi mit eingedrücktem Dach und kaputten Stoßdämpfern. Mehrere Leute saßen darin, auch eine dicke Frau, die ich ebenfalls für eine Indianerin hielt. Jedes Mal starrte der Fahrer auf unser Haus, hielt aber nicht an. Man musste kein Genie sein, um zu begreifen, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen Indianern gab und dem Grund, warum wir womöglich fortgehen mussten, warum wir vor einigen Tagen nach Box Elder gefahren waren (um uns das Umfeld der Indianer genauer anzuschauen), warum ich Angst hatte und warum unser Vater vermutlich gerade dabei war, unseren nächsten Wohnort auszusuchen.
    Noch etwas Bemerkenswertes geschah, während mein Vater weg war: Berner kam aus ihrem Zimmer und hatte roten Lippenstift drauf, was meine Mutter mit Humor nahm, indem sie sie eine »Femme fatale« nannte, die schon bald nach New York oder Paris aufbrechen würde, um ihre Karriere als berühmte Schauspielerin zu beginnen. Das brachte Berner nicht aus dem Konzept. Sie trug ihre Haare lockerer, nicht mehr streng mit Mittelscheitel und nach hinten gebüschelt, sondern ließ sie etwas wirr auf ihre Schultern herunterhängen, was mir nicht gefiel, weil es die Flächigkeit ihrer Züge betonte und ihre Sommersprossen aussehen ließ, als wäre ihr Gesicht ungewaschen – statt frisch, wie früher, selbst mit Pickeln. Während wir putzten, fragte ich sie, warum sie ihr Aussehen so übertrieben verändert habe. Sie runzelte die Stirn und sagte, weil ihr »Freund« (Rudy) – den wir selten zu Gesicht bekamen – gemeint habe, sie müsse schon mehr nach einer erwachsenen Frau aussehen, wenn er sich für sie interessieren solle. Sie erzählte mir, sie überlege, mit ihm durchzubrennen, aber wenn ich das unserer Mutter verriete, würde sie mich umbringen. »Wenn ich hier bleibe, werde ich noch wahnsinnig«, sagte sie und ließ die Mundwinkel hängen. Das erschreckte mich, weil ich nie auf den Gedanken gekommen wäre, dass das Leben mit unseren Eltern unerträglich sein könnte oder dass Ausreißen ernsthaft in Frage käme. Beides traf für mich nicht zu.
    Das andere Ereignis, während Berner und ich das Haus putzten und unser Vater auf der Suche nach der richtigen Bank wie ein Wilder durch die Steppen von Montana und North Dakota brauste, war der neue, seltsame Seelenzustand meiner Mutter. Auf

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