Kanadische Traeume
steif, um Matthew aus der Verlegenheit zu helfen und um seine Antwort nicht hören zu müssen. “Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen. Gute Nacht.”
Charity sah auf die Uhr, als sie nach Hause kam. Es war erst zehn. Sie war nur fünf Stunden aufgewesen und fühlte sich schon wieder total erschöpft. Sie fragte sich, ob sie vielleicht krank wurde.
Also, wenn das die Romanze war, von der Mandy so schwärmte, dann würde sie es vorziehen, in einem überfüllten Stadthospital zu arbeiten. Das wäre weniger anstrengend.
Es war keine Romanze, es war Verwirrung! Es war einen Augenblick jemanden mögen und ihn im nächsten Moment hassen. Es war Begierde spüren und sich dafür schämen. Es war ein Gefühl, sich nicht unter Kontrolle zu haben. Es war ein schmerzliches Gefühl des Verlusts für etwas, das man nie gehabt hatte. Diese Gefühle waren erschreckend und zermürbend.
Kurz vor dem Einschlafen fiel Charity ein, daß sie Sandra Bamfield weniger leiden konnte als irgend jemand, dem sie je begegnet war, Tommy Bellinger vielleicht ausgenommen.
Charity wollte glauben, daß Matthew Besseres verdiente.
Andererseits schien ihm das Spiel mit den Herzen Spaß zu machen. Vielleicht war für ihn alles nur ein Spiel: die emotionsgeladenen Blicke, der schnelle Puls, die körperliche Erregung. Vielleicht war jemand wie Sandra, die die Spielregeln kannte, gerade richtig für ihn.
Charity seufzte. Ihr idealer Sommer wurde ganz anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Wurde je etwas so, wie man es geplant hatte?
Charity genoß ihre zwei freien Tage. Sie hatte einen kleinen einsamen Strand entdeckt, der nicht zu weit vom Hotel entfernt, aber doch sehr abgeschieden lag. Sie schwamm, las, lag in der Sonne und kam ihrem idealen Sommer dabei ein bißchen näher.
Sie sah Matthew nicht und auch Mandy kaum. Nelson suchte sie einmal auf, um sich über ein Liebesproblem, das er mit Billie, dem Zimmermädchen, hatte, beraten zu lassen.
Charity war erstaunt und leicht verärgert, Sandra Bamfield zwischen den Felsen auftauchen zu sehen, über die man klettern mußte, um an ihren geheimen Strand zu gelangen.
Sandra konnte nicht verbergen, daß sie ziemlich aufgebracht war. “Du meine Güte, diese Tortur - für das?” stöhnte sie und breitete unaufgefordert ihr Handtuch neben Charity aus. Dann begann sie, alle möglichen Schönheitsmittel aus ihrer riesigen Tasche hervorzukramen.
“Ich weiß, daß Sie es waren”, informierte sie Charity und cremte sich ein.
“Wie bitte?” fragte Charity.
“Die, mit der er in der kleinen Kammer eingeschlossen war!”
Charity war froh, daß ihre Sonnenbrille sie vor dem forschenden Blick dieser Frau schützte. “Ja, das war ein unglücklicher Vorfall”, sagte Charity und nahm sich ihr Buch vor, aber Sandra ließ sie nicht in Ruhe.
“Trifft er Sie hier?”
“Wie bitte?” fragte Charity wieder, schob sich die Sonnenbrille ins Haar und sah Sandra erstaunt an.
“Ich wundere mich nur, warum sich jemand die Mühe macht, ausgerechnet hierher zu kommen. Es sei denn, man trifft sich oder hofft, daß einem jemand folgt”, erklärte Sandra spitz.
“Ich komme hierher, um allein zu sein.” Charity ließ die Sonnenbrille wieder auf die Nase rutschen und nahm ihr Buch.
“Ach, tun Sie doch nicht so. Sie lesen das doch gar nicht. Sie glauben wohl, es sieht gut aus, etwas zu lesen, das man kaum aussprechen kann. Vermutlich können Sie nicht einmal den Titel aussprechen.”
Kein Wunder, daß diese Frau sie an Tommy Bellinger erinnert hatte! Aber Charity hatte längst gelernt, wie man mit den Tommy Bellingers dieser Welt umging. Sie war ausgebildete Ärztin und hatte es nicht nötig, sich zu verteidigen.
“Sie haben ganz recht”, sagte Charity heiter, legte sich auf die Seite, vertiefte sich in ihre Lektüre und ignorierte Sandra.
“Er gehört mir. Ich bin sehr weit gereist, um mich mit ihm zu versöhnen. Ich komme ganz gut ohne die Einmischung einer arroganten Kellnerin aus. Ich weiß, er ist aus irgendeinem Grund sehr von Ihnen angetan.”
Charity schwieg. Leider begann sich Mitleid für dieses pathetische, bedauernswerte Wesen in ihr Herz zu schleichen.
Sie rollte sich auf den Rücken und betrachtete Sandra.
Sie mußten ungefähr im gleichen Alter sein, aber Sandra sah jetzt aus wie ein schmollendes Kind in einem
Erwachsenenkostüm.
Charity glaubte einen Ausdruck von Angst und Unsicherheit in Sandras Augen zu erkennen.
“Sandra, ich kenne Matthew nicht sehr gut.” Charity
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