Kanaken-Gandhi
zurück!«
»Ich weiß ja, ich hätte ihn während der Operation nicht draußen warten lassen dürfen. Ich sehe alles ein, aber ich konnte nicht denken, weil mein Ohr ab war.«
»Oho, ganz was Neues, du denkst also mit den Ohren. Kein Wunder, dass immer nur Unsinn dabei rauskommt, wenn du anfängst nachzudenken.«
»Herr van Gogh, bitte, ich muss weg«, unterbricht der Taxifahrer unseren traditionellen Ehekrieg, den er diesmal selber angezettelt hat.
»Sagen Sie mal, die Taxifahrer werden doch eigentlich dafür bezahlt, dass sie Leute durch die Gegend kutschieren«, faucht meine Frau - gehässig wie immer - den verdutzten Taxifahrer an, »und nicht dafür, dass sie in Krankenhäusern wildfremden Idioten das Händchen halten, während denen das Ohr angenäht wird! »
»Frau, red nicht soviel, du hast bestimmt irgendwo Geld versteckt, rück’s raus!«
»Osman, ich hab’ keinen Pfennig im Haus. Ich konnte doch nicht wissen, dass du wegen einer einzigen Baskenmütze gleich bis nach Spanien fährst! Ich kann mir nicht mal die Straßenbahn leisten, und du fährst Taxi!«
Ich zerre meine Baskenmütze von dem großen weißen Turm herunter, gebe sie an den Genossen Ali weiter und klettere auf einen Stuhl. Ich reiße seinem Mitgenossen Ahmet das große Megaphon aus der Hand, das er immer dabei hat: Man weiß doch nie, wann die nächste Demo stattfindet.
»Leute, Freunde, Familie, Genossen, Kollegen und Fata Morgana! Ihr seid alle gekommen, um uns zu helfen. Dafür danke ich euch im Namen meiner Familie von ganzem Herzen.
Aber ich hätte nie gedacht, dass ich eure Hilfe so schnell nötig haben werde. Ich denke, ihr habt alle das neue Problem mitbekommen. Bitte lasst die Mütze herumgehen, und jeder sollte bitte soviel Geld für die gute Sache spenden, wie er entbehren kann. Wir müssen gemeinsam 1.012 Mark und 60
Pfennig Taxigeld bezahlen. Dazu kommen noch 26 Mark 99 für die Baskenmütze. Für euren hohen materiellen Solidaritäts-beitrag bedanke ich mich im voraus.«
Genosse Ali, der selbsternannte Rächer aller enterbten Ausländer, zückt sein Portemonnaie, stopft mit großer Geste Geld in die Mütze und gibt sie an den Nächsten weiter.
»Sie werden sehen, gleich bekommen Sie Ihr Geld«, beruhige ich den Taxifahrer.
»Na, hoffentlich«, stöhnt er genervt.
»Nun ja, es ist schon toll, wenn man so beliebt ist wie ich. Und so viele gute Freunde hat«, versuche ich für den nervösen Taxifahrer die Wartezeit zu überbrücken, bis das Geld eingesammelt ist. »Wer - wie ich - für seine Mitmenschen immer nur Gutes tut, der erfährt dann natürlich auch Gutes. Wie heißt es doch so schön: Man erntet, was man gesät hat! Ich glaube, ich kann ohne Übertreibung behaupten, dass ich mit Abstand der beliebteste ausländische Schlosser im Umkreis von zwei Kilometern bin.«
Meine kleine Tochter Hatice schnappt sich die Baskenmütze mit dem Geld vom letzten der edlen Spender und übergibt sie dem Taxifahrer. Ich lächele stolz, während er mühsam den Haufen Geld zählt. Es wird ein ausgesprochen kurzes stolzes Lächeln. Es befinden sich nämlich gerade neun Mark 85 in der Mütze. Dazu noch drei schwarze Knöpfe, ein Olivenkern, zwei gekaute Kaugummis, ein Aspirin und drei Bonbons in ungeöffneter Originalverpackung.
»Herr van Gogh, das hier reicht nicht mal für die Baskenmütze!«
»Was wollen uns diese neun Mark 85 sagen, Herr Taxifahrer«, versuche ich die Situation zu retten.
»Das bedeutet, dass ich immer noch über 1.030 Mark von Ihnen bekomme, Herr van Gogh, und zwar jetzt gleich! »
»Nein, nein, Herr Taxifahrer, Sie müssen das ga nz anders betrachten. Geld ist nicht alles auf der Welt! Hauptsache ist doch, dass man so tolle Freunde hat wie ich hier; auch wenn sie nichts rausrücken.«
»Herr van Gogh, labern Sie nicht rum! Ich will mein Geld haben!«
»Aber regen Sie sich doch nicht auf, Herr Taxifahrer. Das Geld für die Baskenmütze haben wir doch schon fast zusammen.
Und die Kleinigkeit für die Fahrt, die kann ich doch auch morgen noch bezahlen.«
»Einverstanden, Herr van Gogh, einverstanden! »
Ich freue mich riesig, ich hätte nicht gedacht, dass ich den lästigen Mann so leicht abwimmeln kann.
»Einverstanden, Herr van Gogh, aber nur unter der Bedingung, dass ich Ihnen das andere Ohr auch noch abreiße«, sagt er weiter.
»Also, ein abgerissenes Ohr pro Tag, das reicht mir! Wir wollen ja nicht übertreiben. Außerdem, wie wollen Sie so eine Barbarei mit Ihren ärztlichen Grundprinzipien
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