Kanaken-Gandhi
großen Turban, komme ich endlich nach einem langen, chaotischen, schmerzhaften, fürchterlichen, also alles in allem wundervollen Tag nach Hause. Mit dem Ding auf dem Kopf sehe ich aus wie Sultan »Süleyman der Prächtige« während der ersten Tage der Belagerung von Wien. Die kleine Baskenmütze, die ich unterwegs gekauft habe, um den riesigen weißen Turm etwas zu kaschieren, nützt auch nicht viel. Es sieht aus, als hätte man auf dem Kopf eines Dinosauriers einen kleinen Schmetterling festgebunden. Bitte jetzt keine Diskussion darüber, ob zur Dinosaurierzeit schon Schmetterlinge gelebt haben, das interessiert mich absolut nicht. Ich bin heilfroh, dass ich damals nicht gelebt habe. Aber viel schlimmer als heute kann es damals auch nicht gewesen sein. Wenn ich nur an heute morgen denke, an den Drachen in der Ausländerbehörde und die beiden Raubtiere in der Straßenbahn!
Seit einer Stunde habe ich das ungute Gefühl, dass die Ärzte mir mein Ohr falsch rum angenäht haben, so als würde mein Ohr nach hinten zeigen. Ich kann plötzlich hören, wie die Leute hinter meinem Rücken lästern. Ich hatte ohnehin den Eindruck, im Operationssaal herrschten Verhältnisse wie in der Schwarzwaldklinik. Sie wissen schon, jeder treibt’s mit jedem, außer mit der Oberschwester.
Ich öffne die Haustür und gehe ins Wohnzimmer. Eine Sekunde später stehe ich zu Tode erschrocken wieder draußen und mache die Tür leise hinter mir zu. Ich glaube, die Wirkung des Betäubungsmittels ist noch nicht völlig verflogen und ich habe mich in der Haustür geirrt. Aber ich hätte es toll gefunden, wenn dies meine Wohnung gewesen wäre. Denn da saß eine sehr attraktive, blonde junge Frau, die eleganten Beine übereinandergeschlage n, mit einem knallengen signalroten Leder-Minirock. Sie war noch hübscher als die Schwester in der Schwarzwaldklinik, wo sie mich zusammengeflickt haben. Oder soll ich einfach wieder reingehen und so tun, als wäre ich hier zu Hause? Nein, ich glaube, das wäre nicht sehr vielversprechend und auch nicht raffiniert. Mit meinem weißen Turban auf dem Kopf bin ich genau das Gegenteil von der Lederrock-Dame, was die Attraktivität betrifft. Aber alles ist relativ in diesem Leben: Für eine Zirkusnummer bin sicherlich ich attraktiver.
Ich schaue mir die Nummernschilder der Häuser rechts und links an. Ich halte nämlich nichts von Männern, die jedem Rock hinterherlaufen. Ich bin da ganz anders! Aber Frauen mit roten Leder-Miniröcken setzen nun einmal alle irdischen Gesetze außer Kraft.
Ich schaue mir die Hausnummer noch mal ganz genau an: 7b!
Karnickelweg 7b! Doch, es stimmt, hier soll eigentlich meine Wohnung sein. Dann war die attraktive Blondine zweifelsohne eine Fata Morgana oder Eminanim. Welche Drogen haben die mir wohl im Krankenhaus verpasst? Die Droge will ich wieder haben! Das ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Ich mache die Tür auf und gehe wieder rein. Die Fata Morgana sitzt immer noch da, umgeben von einer großen weißen Wolke. Aber eine mir sehr bekannte Stimme stört diesen wundervollen Traum. Es ist die Stimme meiner Frau:
»Oh, ist das rührend, jetzt kommen auch noch die Inder, um sich mit uns zu solidarisieren.«
»Herr Singh Mangeschkar, was machen Sie denn hier? Sie wissen doch ganz genau, dass Sie sich hier nicht zeigen dürfen!«
glaubt auch mein Sohn Mehmet, in mir einen Inder zu erkennen.
»Kara Ren Nemsi Effendi ist da, der läuft jetzt durchs wilde Germanistan«, ruft meine kleine Tochter Hatice.
Bei Allah, wie müssen die im Krankenhaus mich entstellt haben, dass mich meine Kinder und sogar meine eigene Frau nach 33 Jahren Ehe nicht wiedererkennen? Da merke ich erst, dass sich in unserem Wohnzimmer, außer der attraktiven Fata Morgana mit dem roten Rock, leider auch noch jede Menge andere Leute aufhalten: Meine Frau Eminanim, meine kleine Tochter Hatice, meine älteste Tochter Nermin, mein jüngster Sohn Mehmet, mein älterer Sohn Recep, seine Frau Helga, mein Freund Nedim mit Frau und Kindern, unser Nachbar Hasan mit der ganzen Familie inklusive Großmutter, Oma Fischkopf aus der Wohnung über uns, Herr Nöllemeier - der Besitzer des Zeitungskiosks an der Ecke -, Herr Sievers von der Mitfahrzentrale gegenüber, Finanzberater a. D. Opa Prizibilsky, mein Vermieter Herr Knüppel-Trödel, mein Arbeitskollege Hüseyin vo n der Frühschicht, Familie Schmidt aus dem zweiten Stock, die Peters aus dem dritten Stock, die trauernde Witwe von Nachbar Selim (Allah habe ihn
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