Kanaken-Gandhi
geschickt.«
»Das weiß ich mittlerweile auch«, werde ich laut. »die Polizisten lecken das Zeug gerade von den Wänden!«
Mittwoch, 20. Juni, 15:35 Uhr
Nachdem meine angsteinflößende und bedrohliche Bombe als völlig harmloser türkischer Honig enttarnt worden ist, sinkt mein Ansehen bei den Kripomenschen so tief, wie nicht mal das Thermometer während der sonnenlosen Wintermonate in der Antarktis. Ich werde völlig ignoriert, niemand begleitet mich bis zur Ausgangstür. Niemand kommt auf die Idee, mich wieder mit einem Polizeiauto nach Hause zu fahren. Lebewohl Gloria! Ade Silvia!
Voller Wut knalle ich die Eisentür vom Kripo-Gebäude hinter mir zu. Verärgert stampfe ich dynamisch die Treppe hinunter.
Man kann die Gleichung aufstellen: je verärgerter, umso dynamischer. Genauso wie die armen Stiere in der Kampfarena, die wie wild um sich stoßen, weil sie misshandelt werden. Diese edlen Tiere werden reihenweise abgeschlachtet, weil die Zuschauer ihren eigenen abartigen Blutdurst durch einen Dritten befriedigt sehen wollen. Man hat an einem Mord direkt teilgenommen, gedanklich und gefühlsmäßig. Aber man kann völlig problemlos am nächsten Tag als Lehrer wieder zur Schule gehen, als Angestellter ins Büro, als Ehemann zu seiner Familie, als Verkäufer ins Geschäft und muss keine Angst haben, in den Knast gesteckt zu werden!
Ebenso wie der Torero, lässt auch Frau KottzmeyerGöbelsberg immer wieder neue Ausländer schutzlos in ihre Arena. Die deutschen Mitbürger und der Gesetzgeber sind dabei die Zuschauer, und ich bin der blutende, schnaufende Stier. Alle warten sehnsüchtig darauf, wie ich mit einem letzten Dolchstoß endgültig fertiggemacht werde, um dann voll befriedigt aufschreien zu können:
»Oleeeeyy!! »
Bei solch widerwärtigen Gedankengängen fällt es mir sehr schwer, mich in dieser Gesellschaft zu verwurzeln. Eigentlich brauche ich mich gar nicht zu verwurzeln. Ich wäre schon froh, wenn man mich nicht abschieben würde! Na gut, dann denke ich halt nicht mehr soviel darüber nach. Bei Allah, welch ein Hundeleben, bei dem man nicht nur bei den Schimpfwörtern, sondern jetzt soga r auch noch bei den eigenen Gedanken faule Kompromisse schließen muss!
Frustriert steige ich in die Straßenbahn ein.
Wegen des großen Verbandes auf dem Kopf setze ich mich ohne den Anflug eines schlechten Gewissens auf den Behindertenplatz direkt hinter dem Fahrer.
Als die Straßenbahn an einer Haltestelle stoppt, betrachte ich im Fenster mein eigenes Gesicht. Erstaunlich, der Stress der letzten Tage scheint mir gut getan zu haben: Ich sehe viel jünger aus. Oder kommt es mir durch die dreckigen Scheiben nur so vor? Aber...? Warum kann ich den Verband auf meinem Kopf nicht sehen? Mit beiden Händen taste ich alles ab: Der Turban ist immer noch da. Ruckartig fährt die Straßenbahn wieder los, und ich verliere mich aus den Augen. Aber bereits an der nächsten Haltestelle wiederholt sich das Spiel Ich sehe mir erneut in die Augen. Schon wieder habe ich keinen Verband auf dem Kopf.
Nein, das gibt’s doch nicht! Das ist ein Schwarzweißfoto von mir. An allen Haltestellen hat man Bilder von mir aufgehängt!
Während die Straßenbahn wieder anfährt, kann ich die große Zahl unter meinem Foto entziffern: 2.000! Ich werde gesucht!
Ich werde wie ein Schwerverbrecher steckbrieflich gesucht!
Mit 2.000 Mark Belohnung. Jetzt erst bemerke ich die vielen anderen Steckbriefe mit meinem Foto drauf, überall an den Häuserwänden. Manche Baustellenzäune sind mit meinem Steckbrief förmlich zugeklebt. Es ist ein uraltes Passfoto von mir. Viel jünger und natürlich ohne Turban. So oft werden mir in Deutschland die Ohren nun doch wieder nicht abgeschnitten.
Der Turban wird wohl auch der Grund sein, warum mich heute kein einziger von den ganzen Polizisten erkannt hat. Ich ziehe meine Tarnung - den Kopfverband - noch mehr ins Gesicht. Bis in die Augen, so, dass ich gerade noch darunter hervorsehen kann.
Wenn ich früher mal ohne Fahrkarte in der Straßenbahn saß, und das kam nur sehr selten vor, dann habe ich in jedem, der ein- und ausstieg, den Kontrolleur gesehen. Jetzt erkenne ich in jedem den Kopfgeldjäger.
All diese Kreaturen fahren doch heute nur deswegen Straßenbahn, weil sie sich daran erinnern können, dass sie mich in dieser Linie schon mal gesehen haben. Wie tief die Menschen doch sinken können, und das alles für lächerliche 2.000 Mark.
Sicherlich spielten der Blutdurst und die Sensationsgier eine
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