Kanaken-Gandhi
das klassische »Schlagstock- inden-Arsch-Trauma« sitzt ziemlich tief. Na ja, lieber das Trauma als der Schlagstock höchstpersönlich!
Keuchend und völlig außer Atem komme ich zu Hause an.
Blitzschnell schmeiße ich die Tür hinter mir zu und schließe ab.
Meine erschöpften Beine tragen mich nicht mal mehr bis zur Couch. Ich lehne an der Flurwand, die Knie geben nach, und ich plumpse auf den Boden.
»Osman, du hättest dich nicht so zu beeilen brauchen, ich bin mit dem Essen noch nicht ganz fertig«, klappert meine Frau aus der Küche mit den Töpfen.
»Eminanim, die ganze Stadt ist hinter mir her. Wegen der 2.000 Mark würde der Pöbel mich sogar lynchen.«
»Nun übertreibe mal nicht so, Osman. Bisher sind es nur 1.000
Mark, und was du die ganze Stadt nennst, das ist in Wirklichkeit nur ein einziger Taxifahrer. Aber mit dem Lynchen hast du schon recht, wenn du nicht bald Geld besorgst, dann schafft der Kerl das auch ganz alleine.«
Ich versuche mich aufzurappeln. An der Heizung ziehe ich mich langsam nach oben. Meine Frau kommt mit einem großen Stück Papier in das Wohnzimmer und rollt es vor meiner Nase auf.
»Hast du das eigentlich schon gesehen, Osman?« Geschockt falle ich erneut auf den Hintern.
»Frau, das ist es, das ist es! Das meine ich doch! Wegen dieses Steckbriefes veranstaltet die ganze Stadt eine Treibjagd auf mich. Die sind alle hinter diesen 2.000 Mark her.«
»Du Idiot, das ist doch kein Steckbrief! Das ist das Plakat von der Bürgerinitiative wegen unserer Abschiebung. Und von 2.000
Mark steht hier nichts drauf. Hier steht nur die Uhrzeit: 20:00
Uhr morgen Abend im Kulturzentrum Neustadt findet die Veranstaltung statt.«
»Aber, aber, das Foto. Da ist doch ein Foto von mir drauf.«
»Das Foto habe ich denen gestern Nachmittag ge geben. Auf die Schnelle habe ich kein besseres gefunden. Deswegen brauchst du dich doch nicht so aufzuregen. Du siehst grundsätzlich auf jedem Foto wie ein Verbrecher aus! Übrigens, bevor ich es vergesse: Ich habe bei der Behörde angerufen. Frau Kottzmeyer-Göbelsberg hat gesagt, dass unsere Akte immer noch nicht da ist. Also wenn ich das richtig sehe, dann müssen wir morgen wieder zu den Kommunisten von der
Behördenpost.«
»Frau, wie konntest du bloß zulassen, dass die mit diesen Verbrecherplakaten die ganze Stadt zukleben! So was weckt doch keine Sympathie! Wegen diesem blöden Plakat machen sich doch bestimmt alle Leute lustig über mich. Warum hast du mir nichts von dem Plakat und dem Foto erzählt? Noch habt ihr mich nicht abschieben können! Noch bin ich der Herr im Haus!«
»Vater, Vater, mach dir wegen der Abschiebung keine Gedanken mehr. Ich habe eine saugeile Idee, wie wir das Problem loswerden«, brüllt Mehmet aus seinem Zimmer, oder bessergesagt, aus seinem Stall. Womit ich aber weder den Kühen, den Pferden oder gar den Schweinen unterstellen will, dass sie nur halb so unordentlich sind wie mein Sohn Mehmet.
Das sage ich aber nicht laut, weil schließlich jeder weiß, wie man den Vater eines Ferkels nennt.
Mehmet hat sogar ein riesiges Poster mit Hammer und Sichel über seinem Bett. Dieser verlogene Angeber, als wenn der jemals in seinem Leben einen Hammer oder eine Sichel in die Hand nehmen würde. Und bei den vielen jungen Mädchen, die täglich in seinem Zimmer ein- und ausgehen, komme ich mir vor wie eine marokkanische Puffmutter!
»Ach, was du dir gleich denkst«, sagt er dann immer ganz treuherzig, »ich bin doch nur mit Susanne fest zusammen.«
»Was? Schäm dich!« schimpfe ich dann immer mit ihm, »du empfängst Dutzende von Frauen in deinem Zimmer, und du treibst es nur mit einer? Du Schandfleck der Familie!«
»Eminanim, warum sollen wir uns eigentlich solche Mühe machen und morgen zu den Kommunisten von der
Behördenpost gehen? Wir haben doch einen von der Sorte im Hause. Wir wohnen doch gewissermaßen Tür an Tür mit dem
»Reich des Bösen«, wie mein alter Freund Ronald zu sagen pflegte.«
Da geht die Tür zum »Reich des Bösen« auf und mein Sohn Mehmet kommt mit langen Haaren und kurzen Hosen heraus.
Mehmet ist ein echter Klo-Revolutionär. All die schrecklichen Bücher, die die Jugend verderben, liest er auf unserer Toilette.
Es ist erschütternd, was diese Wände schon gesehen haben.
Normale Menschen sagen, wenn sie diesen Ort verlassen: »Ich habe schon wieder Durchfall!« oder »Das Klopapier ist alle.«
Mein Sohn Mehmet aber ruft: »Das war doch gar kein richtiger Sozialismus in Russland!«
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