Kanal-Zombies
baufällig wirkte.
Wenn sie gegen die Decke leuchtete, sah sie die vielen Lücken und Risse, die der Zahn der Zeit hinterlassen hatte. Da hatten sich zahlreiche Steine gelöst, und irgendwann würde dieser Gang sicherlich einstürzen, was an anderen Stellen dieser Unterwelt schon geschehen war.
Sie mussten nicht durch den Schlamm gehen. Rechts und links der Rinne war noch genügend Platz. Allerdings bestand auch die Gefahr, auszurutschen, und so kamen sie nur recht langsam weiter.
Ratten hatten sie bisher keine gesehen. Ludmilla war eine Frau, die sich vor den Tieren ekelte, obwohl ihr bisher noch keine Ratte etwas getan hatte. Doch diese Phobie steckte tief in ihr, und sie kam nicht dagegen an.
Licht brannte in den Seitenkanälen nicht. Das wusste sie von Alwin, der schon mehrmals hier unten gewesen war. Angeblich war der hinter ihnen liegende Einstieg der nächste gewesen, der sie an das Ziel heranführte.
Die tanzenden Lichtkegel erreichten ein erstes Ziel. Es war das Ende des Stollens, der – und das war genau zu sehen – in einem breiteren Quergang mündete. Von dort hörten sie auch Geräusche. Da plätscherte oder rauschte Wasser.
Alwin blieb stehen. Er drehte langsam den Kopf. Die Kapuze bedeckte ihn schon längst nicht mehr. »Ich denke, dass sich Igor dorthin zurückgezogen hat und auf uns wartet.«
»Quatsch.«
»Wieso denn?«
»Dann hätte er uns längst ein Zeichen gegeben. Er muss uns doch gehört haben.«
Dieser Vermutung konnte Alwin zunächst nichts entgegensetzen. »Kann sein, dass er eingeschlafen ist.«
»Ach, glaubst du das?«, höhnte Ludmilla.
»Lass uns weitergehen.«
Ludmilla wusste jetzt, dass auch Alwin seinen Optimismus verloren hatte. Je tiefer sie in diese verdammte Welt eindrangen, umso mehr hatte sie das Gefühl, dass etwas Unheilvolles auf sie lauerte. Sie wollte Alwin mitteilen, dass sie den gesamten Weg nicht gehen würde, aber sie hielt sich zurück. Später war noch Zeit. Erst mal musste Igor gefunden werden.
Plötzlich blieb Alwin stehen und leuchtete dabei gegen eine bestimmte Stelle. Ludmilla wusste nicht, welches Ziel sich ihr Freund ausgesucht hatte und fragte deshalb: »Was ist denn da?«
»Dort bewegt sich was.«
»Und?«
»Weiß nicht genau.«
»Dann geh.«
Sie setzten ihren Weg fort. Diesmal noch vorsichtiger. Ludmilla hatte sich die Stelle gemerkt, die das Ziel der anderen Lampe gewesen war. Da ihr Alwin nicht mehr die Sicht nahm, konnte auch sie dorthin leuchten.
Es gab die Bewegungen genau da, wo die beiden Gänge sich trafen, direkt an der Kreuzung. Aber es war kein Mensch. Da huschte etwas über einen Hügel hinweg, der auf dem Weg lag. Kleine Tiere, die schnell laufen konnten und als Allesfresser bezeichnet wurden.
Ratten!
Ludmilla hatte es kommen sehen.
Sie verkrampfte sich. Sie spürte 1000 Nadeln in ihrem Innern, und ein Gefühl der Bedrückung schoss in ihr hoch.
Sie wunderte sich über sich selbst, dass sie keinen Schrei ausstieß und relativ ruhig blieb. Wie ein Automat folgte sie ihrem Freund, der diese kleinen Hügel neben der Rinne auf dem direkten Weg ansteuerte.
Ratten hatten Nahrung gefunden. Sie bissen daran. Sie rannten plötzlich weg, als sie vom Licht gestört wurden. Nur eine fette blieb noch auf der Kuppe des Hügels. Mit ihren Zähnen zog sie etwas hervor. Gerade da erwischte sie das Licht. Beide sahen, dass sich in ihrem Maul ein Stück Fleisch befand.
Ludmilla schaltete ihre Gedanken aus. Sie wollte nichts mehr denken und am besten auch nichts wissen. Sie folgte Alwin wie ein Automat, und als er stehenblieb, da ging auch sie nicht mehr weiter, sondern erstarrte.
Zwei Lichtkreise leuchteten den Hügel an. Sie glitten auch über die Außenhaut einer Pressluftflasche hinweg, über ein Bündel Stoff und über das, was der Stoff mal verborgen oder geschützt hatte.
Jetzt nicht mehr.
Es lag frei.
Die Kleidung war zerrissen worden, lag zum Teil verstreut an den Seiten.
Was sie freigegeben hatte, war mal ein Mensch gewesen. Nun nicht mehr.
Ein blutiges Gebilde, in dem nur eines noch auffiel. Das nur an der Stirn angefressene Gesicht ihres Freundes Igor...
***
Beide standen da und regten sich nicht. Der plötzliche Schock hatte sie zu Eis werden lassen. Sie sahen etwas Grauenvolles und wünschten sich weit, weit weg. Sie wollten es nicht akzeptieren, der grausamen Wahrheit nicht ins Auge sehen. Das gab es nicht. So etwas konnte das Leben ihnen nicht bieten. Das war einfach unglaublich.
Ludmilla hörte links neben sich
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