Kanal-Zombies
Rio.«
Ludmilla schwieg. Sie kam endlich dazu, sich umzuschauen, und sie benutzte auch ihre Lampe, deren kalter Lichtstrahl bei ihren Drehungen mitwanderte. Er glitt an den feuchten Wänden entlang, strich über den ebenfalls feuchten Boden und erwischte einen schmalen Durchgang, der zu den eigentlichen Kanälen hinführte. Da floss dann das Moskauer Kloakenwasser durch die mehr oder weniger breiten Rinnen. Bei starkem Regen oder Tauwetter rauschte es, doch jetzt waren die meisten der Kanäle mit nur wenig Wasser gefüllt. Einige von ihnen waren sogar ganz leer.
Alwin stand neben seiner Freundin und schaute sich die Karte an, die er ausgebreitet in beiden Händen hielt. Auf ihr waren die wichtigsten Kopien bestimmter Gebiete hier unten zu sehen, und nach ihnen konnte er sich richten.
Als er die Karte zusammenfaltete und auf den Durchgang zugehen wollte, hielt ihn Ludmilla auf, indem sie ihm auf die Schulter schlug.
»Was ist denn?«
»Ich vermisse Igor.«
Alwin schwieg. Für Ludmilla ein Zeichen, dass er ähnlich dachte, seine Gedanken aber nicht ausgesprochen hatte.
»Wo sollte er denn warten?«
»Tja, eigentlich hier unten. Hier waren wir verabredet.«
»Genau an dieser Stelle?«
»Nicht direkt. Jedenfalls hier unten. Er hätte sich eigentlich melden können.«
Ludmilla atmete laut aus und schaute dem Atemnebel nach.
»Das gefällt mir nicht, Alwin.«
»Ach, Unsinn. Wir werden ihn schon treffen, keine Sorge. Er hat sich hier unten bestimmt nur mal umgeschaut. Mir wäre es auch zu langweilig, nur an einer Stelle zu hocken. Kann sein, dass er die Ausrüstung schon an einen besseren Platz geschafft hat.«
»Nein...«
Alwin fuhr herum. »Wieso sagst du das?«
Im Lichtrand sah er das Gesicht seiner Freundin und las auch darin die Sorge, die sich mit einer aufsteigenden Angst mischte. »Ich finde, dass wir die Aktion abbrechen sollten. Das alles ist mir nicht geheuer, Alwin.«
»Bist du denn verrückt?«
»Nein, nur vorsichtig.«
»Verdammt, jetzt mach dir nicht ins Hemd. Ich habe so viel eingesetzt. Ich mache keinen Rückzieher, nur weil du plötzlich ein komisches Gefühl hast. Igor hat sich nicht aus dem Staub gemacht. Er ist ein Macher. Er ist einer, der immer einen Schritt voraus ist. Der wollte hier nicht einfach herumhocken und warten, bis wir eintreffen. Der ist schon weiter.«
»Und wenn er den Schatz gefunden hat?«
»He, was meinst du damit?«
»Dass er schneller gewesen ist als wir und sich schon bedient hat.«
Alwin Lauskas lächelte breit. »Das stimmt nicht, Ludmilla. Er kann es gar nicht getan haben, denn so genau habe ich ihn nicht eingeweiht, wenn du verstehst. Keine Sorge, letztendlich bin ich der Chef. Ich weiß auch, wie gierig Menschen sein können.«
»Was man an uns siehst.«
Er lachte. Das Geräusch hallte in dieser Unterwelt noch nach. »Klar, du hast Recht.«
Ludmilla wusste, dass sie mit ihren Vorstellungen nicht durchkam. Deshalb war sie auch dafür, endlich zu gehen. Diesmal übernahm ihr Freund die Führung. Er bewegte sich auf den Durchgang zu, um den ersten Kanal zu erreichen.
Die Lücke kam ihnen vor wie eine offen stehende Tür. Das Licht der Lampen fiel hindurch und erwischte eine breite Rinne, in der es feucht und schlammig glänzte und sich in die klamme Kälte hinein noch ein widerlicher Gestank mischte.
Ludmilla presste eine Hand auf den Mund und atmete nur durch die Nase.
»Daran musst du dich gewöhnen«, erklärte Alwin. »Das hier ist keine Parfümerie.«
»Weiß ich selbst. Wohin jetzt: Nach rechts oder nach links?«
»Links.«
»Und dann?«
Er zeigte ihr ein Grinsen. »Lass dich einfach überraschen.«
Ludmilla sagte nichts. Was blieb ihr anderes übrig. Alwin war der Chef, nicht sie. Er hatte alles vorbereitet und ihr immer erzählt, dass nichts schieflaufen konnte. Jetzt war sie davon nicht mehr so überzeugt. Allein, dass Igor fehlte, bereitete ihr schon Probleme. Sie konnte sich sogar vorstellen, dass er nicht aus eigenem Antrieb gehandelt hatte, sondern zu etwas gezwungen worden war.
Aber von wem?
Eine Antwort kam ihr nicht in den Sinn. Es brachte auch nichts, wenn sie weiterhin darüber nachgrübelte. Dadurch wurde sie nur selbst nervös.
Ludmilla kannte sich in dieser Unterwelt nicht aus, aber sie war überzeugt, dass dieser Gang nicht zu den Hauptkanälen zählte. Dazu war er nicht breit genug. Es war ein unterirdischer Nebenfluss, der sich durch ein Gewölbe bewegte, das auf Ludmilla nicht eben vertrauenserweckend, sondern eher
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