Kanal-Zombies
eine Antwort gab und dabei ihr Gesicht von seiner Kleidung löste.
»Ich will hier weg.«
»Ja, ich auch.«
»Ich will diesen verdammten Schatz nicht sehen. Ich will nichts damit zu tun haben. Ich hasse ihn. Er bringt Unglück. Er hat Igor den Tod gebracht.«
»Das war nicht der Schatz.«
»Doch, doch!«, keuchte sie und trommelte mit beiden Fäusten gegen seine Brust. »Es war dein verfluchter Schatz. Er war es indirekt. Wäre er nicht gewesen und hätten wir uns nicht auf die Suche danach gemacht, würde Igor noch leben. Und ich will nicht so enden wie er. Verstehst du das?«
»Natürlich.«
»Dann will ich jetzt weg! Ich pfeife auf Rio. Auf die Sonne und auf den Strand. Ich will leben, und ich will hier im kalten Moskau leben und nicht in dieser Unterwelt umgebracht werden.«
»Ist schon klar, Ludmilla, ist alles schon klar. Ich verstehe dich ja.«
»Und du?«
»Weiß nicht.«
»Was weißt du nicht?«
»Schon gut!«, flüsterte er, »schon gut. Wir werden zurückgehen und alles vergessen. Das ist am besten. Ich... ich... weiß auch nicht, was ich machen soll.«
Es waren Worte gewesen, die Ludmilla beruhigen sollten, was sie allerdings nicht schafften. Ludmilla stand noch zu sehr unter dem Eindruck des Erlebten. Sie wollte das Schreckliche auch nicht mehr sehen und drehte sich deshalb vorsichtig um. Ihre Lampe lag am Boden. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie ihr aus der Hand gefallen war. Jetzt bückte sie sich und hob sie auf. Dabei zuckte der Strahl hin und her und erwischte dabei noch mal das, was von Igor übrig geblieben war.
Erst der oder die Killer, danach die Ratten!
Es war nicht zu glauben. Es ergab keinen Sinn. Wer tat so etwas? Welche Menschen waren dazu nur fähig?
Menschen?
Zum ersten Mal dachte Ludmilla darüber nach. Sie hatte schon erlebt, wie schlimm Menschen manchmal sein können. Zudem stand auch genug über menschliche Abgründe in den Zeitungen. Aber was hier mit Igor passiert war, das konnte kein Mensch getan haben. Das musste jemand anderer gewesen sein.
Ein Tier?
Aber keine Ratten. Sie konnten eine Leiche annagen, aber nicht so aussehen lassen.
Ein Untier. Ein Monster. Irgendein schreckliches Wesen, das sich hier in der Unterwelt gehalten hatte. Ein Menschenfresser, einer der schon Jahre hier verbracht hatte und sich von Menschen ernährte, sie sich in diesem Labyrinth verlaufen hatten. Typen wie ich und Alwin, dachte sie, die ihrem Leben eine neue Perspektive geben wollten oder den heißen Kick, um den Fesseln des Alltags zu entfliehen.
Sie hatte gelesen, dass es Kannibalen gab. Auch noch in der heutigen, so aufgeklärten Zeit. Und über Großstadt-Kannibalismus hatte sie sogar mal einen Film gesehen.
All das stieg ihr jetzt wieder in den Kopf, während sich sich mit Panik in den Augen umschaute und mit jeder Faser des Körpers zitterte. Sie sah auch die Ratten, die sich wieder näher an die Beute heran trauten, weil ihre Gier einfach zu groß war. Lächerlich, dass sie sich vor ihnen gefürchtet hatte. Das andere war viel schlimmer.
Unaussprechlich schlimm.
»Komm jetzt.« Als wäre ihr Freund weit entfernt, so dünn hörte sie seine Stimme. Dabei stand er neben ihr und hielt sie untergehakt.
»Ja, lass uns endlich verschwinden. Aber halte mich fest – bitte. Ich will nicht allein gehen.«
»Keine Sorge, das brauchst du auch nicht.«
Sie mussten den Weg zurückgehen, den sie auch gekommen waren. Objektiv betrachtet lag der Einstieg nicht so weit entfernt, aber die beiden konnten nicht objektiv sein. Jeder Schritt würde ihnen schwerfallen. Aus 100 Metern wurde ein Kilometer, und beiden saß die Angst im Nacken.
Ludmilla und ihr Freund blieben dicht zusammen. So gaben sie sich selbst Schutz. Wieder lag der enge Stollen vor ihnen, und das Licht ihrer Lampen bohrte helle Streifen in die Dunkelheit. Es tanzte über den Schlamm in der Rinne. Es ließ das Schmutzwasser auf der Oberfläche schimmern und sorgte dafür, dass sie eine einigermaßen gute Sicht hatten.
Hätten sie den Weg in der Dunkelheit zurücklegen müssen, wäre es viel schlimmer gewesen.
Automatisch kam Ludmilla in den Sinn, dass der Zugang zur Unterwelt verschlossen gewesen war. Sie glaubte nicht mehr daran, dass Igor ihn verschlossen hatte. Das hätten auch ebenso seine Mörder gewesen sein können.
Und jetzt? Was war, wenn sie Recht behielt und der verdammte Zugang wieder geschlossen war? Dann mussten sie den schweren Deckel auf der Leiter stehend in die Höhe drücken. Da gab es keinen Ring, an
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