Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
ist mir selbst noch nichts Schlimmes passiert.«
Der Hund hörte seinen Namen und kam angesprungen.
Island beugte sich zu ihm herunter und streichelte seinen Rücken, doch Frau Dormann pfiff das Tier zurück.
»Komm, Fritzi, wir gehen.« An Island gewandt, sagte sie: »Wenn Sie sich noch weiter umsehen wollen, tun Sie sich keinen Zwang an.«
Sie ergriff ihren Hund am Halsband, das mit Strasssteinchen verziert war, und befestigte daran eine schmale, vergoldete Lederleine. Viel schneller, als Island es ihr zugetraut hätte, lief sie mit trippelnden Schritten an der Reithalle entlang in Richtung See, bis sie mit beachtlichem Hüftschwung zwischen den Bäumen der Allee verschwand.
20
O lga Island schlenderte noch etwas zwischen den Stallungen umher. Sie streichelte ein graues Pferd, das ihr gutmütig die Nase über ein Gatter entgegenstreckte, und genoss die Wärme seines Fells und den Pferdegeruch. Dann bog sie auf den Pfad ein, der am Kühlhaus entlang und an einem Wäldchen vorbeiführte. Als sie es fast umrundet hatte, sah sie das Fachwerkhaus mit dem Mühlrad. Die erwähnte Wassermühle, das Wohnhaus der Angestellten. Das Haus hatte zwei Stockwerke und ausgebaute Dachgauben. Auf der offenen Holzveranda standen weiße Plastikstühle. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, aber Island hatte das Gefühl, dass sie beobachtet wurde, und zwar nicht nur von den schwarzen Krähen, die in den Bäumen hockten.
An der Seite des Hauses, an der sich das Mühlrad befand, floss ein verkrauteter Bach. Auf der anderen Seite begrenzte eine Mauer den Weg. Die Mauer war gerade so hoch, dass man nicht hinüberblicken konnte. Während Island daran entlangging, zog sie ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Henna Franzen.
»Hi«, sagte Franzen. »Wie geht’s?«
Im Hintergrund war lautes Kindergekreische zu hören. Was ist denn bei der los?, dachte Island.
»Bist du noch im Dienst?«
»Nein«, sagte Franzen. »Wir sind in Katzheide und essen gerade Pommes am Kiosk.«
Eine männliche Stimme brummte etwas Unverständliches im Hintergrund.
»Und Dutzen trinkt Bier.«
»Schönen Gruß«, sagte Island möglichst beiläufig. »Könntest du trotzdem etwas für mich herausfinden? Ich hätte gern Informationen über einen Mann namens Jon Theissen. Er soll in Hamburg wohnen.«
»Was ist mit ihm? Ich denke, du machst Urlaub.«
»Ich wüsste einfach gern, wo Herr Theissen sich gerade aufhält.«
»Okay«, seufzte Franzen. »Reicht es morgen im Laufe des Tages?«
»Sicher.«
»Hast du es ansonsten nett in deinem Urlaub?«
»Ja, alles gut. Ich mache gerade einen Verdauungsspaziergang.«
»Dann weiterhin gute Erholung!«
Im Hintergrund erklang Jan Dutzens heisere Lache.
Die Mauer war lang. Kurz bevor sie endete, blieb Island stehen und schöpfte Atem. Die Backsteine hatten die Hitze des Tages gespeichert. Es roch berauschend nach Lindenblüten, süßlich und schwer, fast wurde ihr übel davon. Ich sollte das Kind vielleicht Linde nennen, dachte sie, das ist ein schöner Name, auch wenn mir vom Lindengeruch so schwummrig wird.
Ihre Fähigkeit, Gerüche wahrzunehmen, hatte sich in den vergangenen Wochen immer mehr verfeinert. Die Welt bestand aus Duftmolekülen, geordnet nach angenehmen und unangenehmen. Das ist ein Wunder des brütenden Körpers, dachte sie, dass ich riechen kann wie ein Urmensch. Und während sie, die Nase gekräuselt, dem Weg weiter folgte, nahm sie neben den Düften von Blüten und Blattwerk auch noch etwas anderes wahr: Marihuana. Am Ende der Mauer sah sie feinen, bläulichen Rauch. Weiter hinten, dort, wo die Mauer einen Knick machte und in wildes, buschiges Gelände hineinführte, hockte ein Mann in blauer Arbeitskleidung. Er hatte den Rücken an die Backsteine gelehnt, die Augen geschlossen und rauchte. Island lief weiter. Als sie sich kurz darauf noch einmal umwandte, war er nicht mehr da.
Um halb neun war sie wieder am Verwalterhaus. Es war so herrlich an der frischen Luft, dass sie noch nicht in ihr Zimmer gehen mochte. Da fiel ihr die Wäsche im Garten wieder ein. Sie umrundete den Seitenflügel und kam in den Teil des Gartens, den sie von ihrem Badezimmerfenster aus gesehen hatte. Noch immer hingen die Wäschestücke zum Trocknen auf der Leine. Sie trat vorsichtig näher und inspizierte möglichst unauffällig die mintgrünen Handtücher aus dicker, weicher Baumwolle. Mit dem Rücken zum Haus, zog sie möglichst unauffällig ihr Handy hervor und machte ein Foto. Erst als sie sich
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