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Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)

Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)

Titel: Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirstin Warschau
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umdrehte, bemerkte sie, dass sich die Gardine im Erdgeschoss leicht bewegte, so als habe jemand am Fenster gestanden und ihr zugesehen.
    Zurück in ihrem Zimmer, setzte sie sich in einen der beiden Sessel und blickte sich um. Gab es nicht doch noch Spuren des Vorbewohners? Nachdem sie jedoch in alle Ecken und Winkel und unter das Bett gespäht hatte, kam sie zu dem Schluss, dass in dem Raum äußerst gründlich geputzt worden war.
    Gegen halb zehn streifte sie ihre Stützstrümpfe ab, zwängte sich und den Bauch in die Sitzbadewanne und ließ das Wasser aus der Brause über ihren Kopf laufen. Dann zog sie das Nachthemd über und legte sich ins Bett. Draußen war es taghell. Sie betrachtete die Deckenbalken und dachte nach. Morgen würde sie einen Ausflug machen.
    Als sie erwachte, war es stockdunkel. Das Kind drückte auf ihre Blase. Unwillig drehte sie sich zur anderen Seite, aber der Druck ließ nicht nach. Es war so still, dass sie das Blut in ihren Ohren sausen hörte. Sie streifte das dünne Laken zurück, mit dem sie sich zugedeckt hatte, stand auf und tappte ins Bad. Als sie die Spülung betätigte, rauschte das nachlaufende Wasser so laut, als würde ein kleines Düsenflugzeug über das Dach fliegen. Jeder im Haus musste es hören.
    Sie ging wieder ins Zimmer hinüber und stellte sich ans Fenster. Das Rauschen hörte endlich auf. Wie still es nun war und wie dunkel. Als Stadtbewohnerin war sie es gewöhnt, fast immer und überall Geräuschen ausgesetzt zu sein. Nun bereitete ihr diese absolute, nächtliche Ruhe Unbehagen. Sie schnipste mit den Fingern, um sicherzugehen, dass ihre Ohren noch funktionierten. Draußen sah sie schemenhaft die Dächer der Scheunen. Darüber leuchteten nebeneinander zwei kleine, helle Vierecke in die Nacht. Sie kniff die Augen zusammen. Im Herrenhaus war noch Licht.
    Neugierig ging sie zum Schrank und holte ihr kleines Reisefernglas aus dem Rucksack. Sie richtete das Glas auf die hellen Flecken und konnte ungehindert in die Fenster hineinspähen. In einem großen Raum waren Menschen um einen Tisch versammelt. Es sah aus, als würden sie etwas auf dem Tisch Liegendes sehr angestrengt betrachten. Eine Person ging gestikulierend vor den Fenstern auf und ab und schien etwas zu erklären. Ab und zu nickten die Leute am Tisch. Plötzlich löste sich die Versammlung auf. Alle verließen das Zimmer. Das Licht ging aus.
    Island stand noch eine Weile am Fenster, das Nachbild der erleuchteten Fensteröffnungen auf der Netzhaut. Sie rieb sich die Augen und tastete nach ihrem Handy auf dem Nachttisch, um nach der Uhrzeit zu sehen. Zwei Uhr fünfzehn. Was hatten diese Leute im Herrenhaus tief in der Nacht Wichtiges zu besprechen? Mitten in einer Sonntagnacht? Sie gähnte und stützte sich nachdenklich am Fenster ab.
    Plötzlich flammte drüben hinter dem Dach der nächstgelegenen Scheune wieder Licht auf. Wahrscheinlich war einer der Bewegungsmelder aktiviert worden. Hatte man im Herrenhaus späte Gäste gehabt, die jetzt mitten in der Nacht aufbrachen? Island öffnete das Fenster, konnte aber keine Motorengeräusche von abfahrenden Autos hören. Waren es Angehörige oder Gäste der Familie Tüx gewesen?
    Island legte sich wieder hin und starrte in die Dunkelheit. Doch bis auf das Rufen eines Käuzchens, das ihr durch Mark und Bein ging, war nichts mehr zu hören.

21
    H einer Mahlsen, seit drei Jahren angestellt bei der Firma Diekmann und Klamm, stoppte wie gewohnt den Motor seiner Caterpillar-Planierraupe. Es war zwei Minuten nach neun, und die Sonne brannte schon seit Stunden vom wolkenfreien Himmel. Mahlsen öffnete das Kippfenster, zog seine Stullenbox hervor und goss sich, den Plastikbecher auf den Knien balancierend, einen gekühlten Eistee aus seiner Thermoskanne ein. Er biss in ein Stück Graubrot mit Käse, dann saß er kauend da, trank ab und zu aus dem Becher und genoss die Stille. Er frühstückte jeden Morgen um die gleiche Zeit, die kurze Ruhepause tat nicht nur seinen Ohren gut, es war auch eine kleine Auszeit vom ständigen Vibrieren der schweren Maschine.
    Nun war es endlich still draußen auf dem aufgewühlten Acker zwischen Landwehr und Schinkel. Die beiden Abraum-Lkws, die er heute bereits mit Lehm, Sand und Mergelboden beladen hatte, waren fort, der nächste der schweren Transporter noch nicht auf der Baustelle eingetroffen. Mahlsen sah zu Bellmann hinüber, der drüben auf dem Lehmwall in seinem Kleinbagger saß, sich eine Zigarette anzündete und unter

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